Mary Poppins
an die Butterblumen.
>Mein Gott<, sagte die Rote Kuh zu sich selbst, als sie schließlich einen wilden Matrosentanz wagte. >Was für eine tolle Geschichte! Ich dachte immer, Tanzen gehört sich nicht, aber das kann nicht stimmen, da ich jetzt doch selbst tanze. Ich bin doch eine vorbildliche Kuh.<
Und sie tanzte weiter und war glücklich. Am Ende wurde sie müde und sagte sich, sie habe nun genug getanzt und wolle schlafen gehen. Aber da merkte sie überrascht, daß sie gar nicht aufhören konnte zu tanzen. Sie wollte hingehen und sich neben das Rote Kalb legen. Ihre Beine ließen es nicht zu. Sie machten weiter Luftsprünge, tänzelten und trugen sie von allein mit sich fort. Rund um die Wiese herum ging’s, hüpfend und tanzend und auf den Fußspitzen trappelnd.
>Mein Gott!< murmelte sie hin und wieder mit ihrer feinen, damenhaften Stimme vor sich hin. >Wie peinlich!< Aber sie konnte es nicht lassen.
Am Morgen tanzte sie immer noch, und das Rote Kalb mußte sein Butterblumen-Frühstück ganz allein zu sich nehmen, weil die Rote Kuh nicht haltmachen konnte, um zu fressen. Den ganzen Tag lang tanzte sie über die Wiese, und immer wieder rundum, und das Rote Kalb muhte voll Mitleid hinter ihr drein.
Wieder wurde es Nacht, immer noch tanzte sie und konnte nicht aufhören. Da wurde ihr schrecklich bange. Und nach einer Woche unausgesetzten Tanzens war sie nahezu außer sich.
>Ich muß zum König gehn und um Rat fragen<, sagte sie entschlossen und schüttelte den Kopf.
Sie gab also ihrem Roten Kalb einen Kuß und sprach mahnend: >Bleib brav.< Dann wandte sie sich, tanzte aus der Wiese heraus und ging den König fragen. Sie tanzte den ganzen Weg entlang, schnappte im Vorübertanzen kleine Büschel Grün von den Hecken, und überall, wo sie erschien, machten die Leute große Augen vor Verwunderung. Aber keiner war verwunderter als die Rote Kuh selbst.
Endlich kam sie zu dem Schloß, darin der König wohnte. Sie zog mit dem Maul an der Klingelschnur, und als das Tor sich auftat, tanzte sie den breiten Gartenweg hinauf, bis an die große Treppe, die zu des Königs Thron führte. Hier saß der König und machte wieder einmal eifrig neue Gesetze. Ein Sekretär trug sie in ein kleines, rotes Notizbuch ein, immer der Reihe nach, so wie sie dem König gerade einfielen. Überall standen Höflinge und Hofdamen. Sie waren alle prächtig gekleidet und redeten alle zu gleicher Zeit.
>Wieviel habe ich heute fertiggebracht?< fragte der König und wandte sich seinem Sekretär zu. Dieser zählte die Gesetze, die er in das rote Notizbuch eingetragen hatte.
>Zweiundsiebzig, Euer Majestät!< sagte er mit tiefer Verbeugung, darauf bedacht, nicht über seinen Federkiel zu stolpern, der besonders lang war.
>Hm. Nicht schlecht für eine Stunde Arbeit<, sagte der König und schien recht zufrieden mit sich. >Das ist für heute genug.< Er stand auf und legte seinen Hermelinmantel in Falten.
>Meine Kutsche! Ich muß zum Barbier<, befahl er königlich.
In diesem Augenblick sah er die Rote Kuh daherkommen. Er setzte sich wieder und nahm das Zepter in die Hand.
>Nanu, was haben wir denn da?< fragte er, als die Rote Kuh auf die Treppe zutanzte.
>Eine Kuh, Euer Majestät!< erklärte sie schlicht.
>Das sehe ich auch<, sagte der König. >Ich habe Augen im Kopf. Aber was willst du? Mach schnell! Ich habe um zehn eine Verabredung beim Barbier. Er wartet nicht länger auf mich, und ich muß mir das Haar schneiden lassen. Und um des Himmels willen hör auf, hier herumzutanzen und -zuspringen!< fügte er gereizt hinzu. >Es macht mich ganz schwindlig.<
>Ganz schwindlige wiederholten die Höflinge und starrten die Kuh an.
>Das ist es ja eben, Euer Majestät, das ist es. Ich kann nicht aufhören!< jammerte die Kuh kläglich.
>Kannst nicht aufhören? Unsinn!< sagte der König wütend. Sofort hörst du auf! Ich, der König, befehl es dir!<
>Sofort hörst du auf! Der König befiehlt es dir<, wiederholten die Hofschranzen.
Die Rote Kuh strengte sich an. Sie gab sich solche Mühe, mit dem Tanzen aufzuhören, daß ihr die Muskeln und Rippen aus dem Leib traten. Aber es half nichts. Sie mußte noch heftiger weitertanzen vor den Stufen des königlichen Throns.
>Ich habe mir alle Mühe gegeben, Euer Majestät. Aber es geht nicht. Ich habe nun schon volle sieben Tage getanzt. Und konnte nicht schlafen und nur sehr wenig fressen. Ein oder zwei Weißdornbüschel – das war alles. So kam ich her, um Euren Rat zu erbitten.<
>Hm – sehr sonderbar<,
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