Marzipaneier (Junge Liebe)
ich auf meinem Zimmer. Ich liege auf meinem Bett und starre die weiße Decke an, an der eine tote Mücke klebt. Der Wind lässt die Fensterläden krachen. Wütend werfe ich Papierknöllchen gegen die Decke, doch meine Versuche, die Mücke zu treffen, scheitern. Mum und Dad sind asozial. Heute Abend wirft ein Kumpel von mir ‘ne Party zu seinem 18. Geburtstag. Jeder, der ’nen guten Namen hat, ist eingeladen.
Und ich soll bei diesem Event nicht dabei sein? Meine ängstlichen Eltern haben es mir verboten. Ich wollte mit dem Mofa fahren. Kay wohnt am südlichen Ende von Sachsenhausen. Mum möchte mich nicht fahren lassen, weil es in den letzten Tagen aufgrund eisglatter Fahrbahn eine Menge Unfälle im Frankfurter Raum gegeben hat. Dad will mich nach zwölf nicht mehr abholen, weil er morgen Frühschicht hat. Ebenso wenig darf ich die Straßenbahn benutzen. Cora wurde mit sechzehn Jahren einmal überfallen, als sie nach Mitternacht mit der Straßenbahn gefahren ist. Zwei Männer, ein alter Sack und jemand, der mit gebrochenem Akzent gesprochen hat, wollten sie vergewaltigen. Wenn ihr nicht vom Nebenabteil ein betrunkener Bettler zu Hilfe gekommen wäre, hätte sie sich wohl im Krankenhaus, schlimmstenfalls in der Gosse wieder gefunden. Seitdem sind wir Kinder verpflichtet, die Bahn bei Nacht zu meiden. Anstatt sich auf große Diskussionen mit mir einzulassen, meinte Dad gelassen, dass ich zu Hause bleiben könne.
Meinen Vorschlag zu Fuß zur Party zu gehen, konnte ich ihnen nicht einmal unterbreiten. Gnadenlos haben sie mir den Hahn zugedreht, ehe ich ein vernünftiges Wort raus bringen konnte. Kays Angebot, bei ihm zu übernachten, musste ich mir schon von Vorneherein aus dem Kopf schlagen. Wieder ein Fall, in dem meine Eltern total spießig reagierten.
„Natürlich, Dennis! Damit wir dich dann im Krankenhaus mit einer Alkoholvergiftung besuchen können!“, meinte Mum in ironischer Strenge. Das hat sie nur gesagt, weil sie neulich im Fernsehen so einen dämlichen Doku-Beitrag über Jugendliche im Umgang mit Alkohol gesehen hat. Ein toller Vertrauensbeweis! Das muss ich schon sagen.
Nur weil sie früher nicht zu den strengsten Eltern zählten, müssen sie jetzt nicht damit anfangen. Da hätten sie eher autoritär sein müssen. Der Zug ist abgefahren.
Plötzlich klopft es an meiner Tür. Völlig unerwartet. Das ist mein privates Reich. Mein Rückzugs- und Zufluchtsort, wenn ich meine Probleme vergessen will. Oder einfach nur von Ben träume. Mum betritt mein Zimmer schon lange nicht mehr, da sie bei seinem verwüsteten Anblick verrückt wird, um sie selbst zu zitieren. Dad ist das letzte Mal auf mein Zimmer gekommen, als er mich mit zwölf aufklären wollte. Das hätte er sich besser erspart. Einen peinlicheren Eindruck hat er bei mir davor und danach nie wieder hinterlassen. Zu was gibt es denn bitte ältere Schwestern und die Bravo ? Cora ist im Grunde die einzige, die anklopft. Aber die ist ja in Marseille. Dafür stürmt Jay immer, wenn es ihm gerade in den Kram passt, in mein Zimmer. Natürlich ohne anzuklopfen. Jedoch macht er dann für gewöhnlich Bekanntschaft mit zwei Fäusten und verschwindet ebenso schnell wieder, wie er gekommen ist. Was fällt dem ein, schließlich könnte ich ja gerade auch mit mir selbst beschäftigt sein…
„Dennis, wir haben mit dir zu reden!“ Danke! Anscheinend gibt es doch noch Gerechtigkeit auf Erden. Ich lasse die beiden gar nicht richtig zu Wort kommen und frage sofort, ob ich übernachten darf. Aber zu früh gefreut.
„Ich dachte das haben wir bereits geklärt. Keine Chance, Dennis!“, schimpft Mum.
„Aber wir haben eine Lösung für dich gefunden.“
Klingt toll, Dad. Ich bin gespannt.
„Ich habe soeben mit Onkel Bendix telefoniert. Er geht heute Abend auf seine Weihnachtsfeier bei Sachsenhausen. Er kommt danach bei Kay vorbei, um dich abzuholen. Mum und ich fühlen uns sicher, wenn er dich bringt. Kannst also gehen. Alles paletti“, sagt Dad auf einmal locker.
Scheint beschlossene Sache zu sein. Auch gut. Ich habe nun zwei Möglichkeiten. Entweder ich werfe mich an ihn ran, oder ich lass es. Und schon wieder bin ich maßlos überfordert. Wenn ich doch nur die Fähigkeit besäße, mich zu entlieben! Es hat doch alles keinen Sinn. Immerhin haben sie sich durchgerungen, einmal ein kleines Stückchen über ihren eigenen Schatten zu springen. Sie lassen mich sogar vom ungeliebten Ben chauffieren.
Ben ist pünktlich wie die Maurer, 19.00 Uhr und
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