Marzipaneier (Junge Liebe)
Sperrstunde. Wäre sicherlich geil geworden, mit ihm durch die Straßen und Gassen zu ziehen. Ben hält am Main an.
„Lass uns am Ufer entlang rennen, damit wir wieder klarer denken können“, schlägt er vor.
Es ist dunkel, aber lustig. Von weitem kann man die Lichter der Hochhäuser sehen. Ein besonderer Kick, nicht ganz nüchtern durch die Gegend zu laufen. Ich habe keine Ahnung wie lange wir das durchhalten, aber plötzlich huschen wir zurück. Erschrocken durch das Blinken blauer Lichter eines Polizeiwagens. Die wollen uns doch nicht etwa mitnehmen? Glücklicherweise nicht. Sie sausen an uns vorüber. Ich finde mich in Bens Armen wieder. Ich lege meinen Kopf auf seine Schulter. Mein Gott, was er jetzt wohl denkt. Ich sollte meine Chance ergreifen und ihm einen Kuss geben, bin aber schon wieder dabei zu versagen. Eingeschüchtert halte ich meinen Mund, während Ben mich zum Auto geleitet und nach Hause fährt.
Ich will hier raus. So schnell wie möglich, aber ich kann nicht im Geringsten davon ablassen, ihn immer wieder aus den Augenwinkeln anzustarren. Ben hält oberhalb unseres Hauses.
„Danke, bis dann.“ Ungeduldig öffne ich die Tür. Als ich aussteigen will, hält er mich an meinem linken Handgelenk zurück.
„Warte! Was ist eigentlich in letzter Zeit mit dir los?“
„Nichts. Was soll sein? Ich muss gehen.“
„So schnell kommst du mir nicht davon. Das kannst du mir nicht erzählen. Dich hemmt was. Ich will wissen, was ich falsch gemacht habe. Du springst distanziert mit mir um. Warum? Auf einmal bist du so kurz angebunden und ... ach, was weiß ich.“ Er fährt sich unsicher durch sein Haar.
Wenigstens hat er bemerkt, dass ich mich absichtlich zurückgezogen habe. Es wäre keine schlechte Möglichkeit es zu riskieren, ihm meine Gefühle zu gestehen, um diese immense Last endlich loszuwerden. Bei Misserfolg kann ich den Alkohol für den Unsinn verantwortlich machen. Sein trauriger Blick kocht mich weich. Er ist so geil und handelt mir jede Menge Schuldgefühle ein. Ich bringe es nicht übers Herz so gemein zu ihm zu sein. Nicht mehr heute. Nicht jetzt.
„Also gut.“ Ich setze mich leise zurück ins Auto und schließe behutsam die Tür. Wo soll ich bloß anfangen? Unruhig schraube ich meinen Ring vor und zurück. Meine Handflächen sind nass. Gar nicht so einfach.
„Raus mit der Sprache! Was um Himmels Willen habe ich dir getan?“
Ben ist sichtlich angespannt und nervös. Er schiebt Whitney Houston ein – One moment in time. Ein fetter Song. Das finde sogar ich. Er passt irgendwie zur Situation. Stotternd beginne ich zu erzählen.
„Mein ganzes Leben mache ich, was von mir erwartet wird. Ich bin auf Tugend und Disziplin erzogen. Versuche es Mum und Dad recht zu machen, Lena ein perfekter Freund zu sein, die Mannschaft nicht zu enttäuschen und vor meinen Freunden den Immer-Fröhlich-Dreinblickenden Dennis mit dem unnahbaren Image zu mimen. Ich kann nichts auf eigene Faust unternehmen, ohne sofort kritisch beäugt zu werden. Das ist ein enormer Druck.“ Er hört mir gespannt zu.
„Klaro, aber bei mir musst du dich nicht verstellen.
Du bist du. Basta! Gerade deswegen ...“
„… Ja? Was?“ Erwartungsvoll blicke ich ihn an.
„Ach nichts.“ Er schaut wie ertappt zur Seite.
„Das bin ich normalerweise ganz und gar nicht. Würde ich nach meinen Wünschen handeln, würde alles aus den Fugen geraten. Ich wäre unten durch. Bei allen und jedem. Besonders bei dir! Ich weiß nicht wie lange ich das noch durchhalte. Ich falle, stehe wieder auf, um wieder hinzufallen. So verleugne ich vor allem mich selbst. Mir ist einiges klar geworden. Ich musste Dinge zur Kenntnis nehmen, die ich von mir nicht kannte. Der Schmerz, den ich verspüre, sitzt tief und es gibt nur eine Möglichkeit, ihn zu entfernen.“
Ich bin am Ende und bring‘s nicht. Ich versage schon wieder. Wieso immer vor ihm? Ben bemerkt, dass ich völlig aufgelöst bin. Er nimmt mich in seine Arme und streicht liebevoll über meinen Kopf. Es ist schön. Ich fühle mich bei ihm so sicher und geborgen. Es muss sein, sonst werde ich verrückt. Ich hebe meinen Kopf und sehe ihm in die Augen.
„Nur einmal möchte ich den Schmerz entfernen, um zu sehen, ob es wirklich das ist, was ich mir davon verspreche. Alles, wirklich alles werde ich ruinieren. Aber es gibt nur einen, der mir helfen kann.“ Ich könnte auf der Stelle losheulen und habe Tränen in den Augen.
„Dann mach’s einfach, entferne den Schmerz
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