Marzipaneier (Junge Liebe)
raushängen lassen? Hier und jetzt schwöre ich mir, mir weder einen schwulen Akzent, noch jemals so eine Gangart zuzulegen. Auf keinen Fall! Der Zweck dieser Aktion ist mir nicht klar.
„So willst du niemals werden, oder?“
Kopfschüttelnd erwidere ich Bens Aussage.
„Als ich das erste Mal hier war, erging es mir nicht anders. Ich bin dann aber schnell toleranter geworden. Du solltest diese Menschen nicht nur nach ihrem Äußeren beurteilen!“
„Ja, aber was wollen wir hier?“ Wir bekommen einen Tisch in der Ecke zugewiesen. Der Kellner ist nett. Das Personal scheint vorzugsweise hetero zu sein. Freundlich bedanke ich mich für mein Getränk.
„Schwul oder hetero?“
„Was?“
„Der Kellner.“
„Ganz klar hetero.“
„Falsch! Hier ist keiner hetero. Verstehst du es jetzt?“
„Nicht ganz.“
„Ich will dir damit zeigen, dass es auch normale Homos gibt. Falls man dieses Wort überhaupt gebrauchen darf. Normal. Du darfst nicht so viel auf Äußerlichkeiten geben ! “
„Du meinst, ich soll keine Angst vor meinen Gefühlen haben?“
„Genau. Lebe sie aus. Das bedeutet nicht, sich tuntenhaft aufführen zu müssen oder dergleichen. Mache weiter wie bisher. Die Typen, die dir so seltsam vorkommen sind ein Extrem. Die eine Seite der Medaille, wenn du es so willst. Die Kehrseite kannst du selbst sein. Mehr Menschen als du denkst haben gleichgeschlechtliche Partner oder zumindest Erfahrungen auf diesem Gebiet. Auch in Frankfurt gibt es Homos und Bisexuelle, die du auf den ersten Blick keinesfalls dafür hältst. Eine strikte Abneigung in der Öffentlichkeit symbolisiert oftmals den inneren Wunsch nach dieser Art von Liebe. Jan, ein Kollege von mir, ist stockschwul. Du wirst lachen, aber das nahm ihm keiner ab. Erst, als er auf unserer Weihnachtsfeier seinen Freund mitbrachte, haben wir es ihm geglaubt. Fast jeder macht einmal diese Erfahrung.“
Hört sich gut an. Ich denke, da ist was Wahres dran. Ich denke nicht weiter darüber nach. Mich interessiert eher brennend, warum Mum und Ben sich nicht riechen können. Die Möglichkeit ist günstig, ihn danach zu fragen. Hier ist es still und gemütlich.
„Ben, da ist was, das beschäftigt mich schon lange. Sag mal, warum können Mum und du euch nicht ausstehen? Bei uns wird darüber doch nicht offen gesprochen.“
„Ach, ich weiß selbst bis heute nicht genau weshalb. Ich muss etwa zwanzig gewesen sein. Ein Kumpel von mir und ich sind nach einer durchzechten Disconacht von den Bullen angehalten worden. Er ist mit einigen Promille gefahren und hatte zu allem Überfluss etwas Gras bei sich. Prompt haben sie uns mit aufs Revier geschleppt und dein Dad hat mich abgeholt. Für ihn war es, wie du dir denken kannst, ein gefundenes Fressen, mich vor unserem Vater madig machen zu können. Eine richtige Genugtuung. Mir persönlich hat er es natürlich nicht übel genommen. Deine Mum dafür umso mehr. Es erwies sich später zwar als falsch, dass ich Gras konsumiert haben soll, aber für sie war ich von nun an der Junkie. Dabei mache ich mir weder was aus Zigaretten, noch aus Marihuana. Sie hatte immer Angst um euch und davor, dass ich euch eines Tages in die falschen Kreise führe. Du musst das in gewisser Weise verstehen. Sie ist deine Mutter. Und Eltern machen sich zeitlebens Sorgen um ihre Kinder. Egal welchen Alters. Bei Oma ergeht es mir nicht anders. Siehst du, ich bin gerade schon wieder dabei. Ich verleite dich zum Schwulsein. Themenwechsel.“
Ich verstehe. Mum konnte sich nun endlich in Dads Aussagen über Ben bestätigt sehen. Ich befürchte, dass sie Ben selbst ganz süß gefunden haben muss und das nicht ertragen hat. Pech.
Worte wie Junkie oder Kiffer mussten ich und meine Geschwister uns noch nie von ihnen anhören.
„Ich habe Lust ins Big Blue zu gehen.“
„Dann lass uns keine Zeit verlieren.“
Der nasse Asphalt bringt mich ständig ins Schleudern. Ich halte mich an Ben fest. Was ist er bloß für ein großartiger Typ? Er tut alles für mich. Die Bar eben sollte mir den Drang zur Selbstzerfleischung austreiben. Im Big Blue geht noch einiges. An solchen Abenden muss man einfach gut drauf sein.
Wir setzen uns zu einer Frau und ihrem Mann, der aussieht wie Bruce Springsteen zu seiner besten Zeit. Gesprächig sind die beiden nicht unbedingt, da sie mehr mit sich selbst beschäftigt sind. Uns kann das nur Recht sein. Wir schlürfen kräftig an unserer Caipirinha und Tequila Sunrise um die Wette.
Wir trauen uns, unsere Gefühle
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