Marzipaneier (Junge Liebe)
habe ich keinen Plan, wo wir uns befinden. Orientierungslos folge ich Ben. Ich bin mir sicher, dass er weiß, wohin wir gehen. Es muss in der Nähe des Rheins sein. Ich höre Geräusche, die sich nach Wellenbewegungen anhören und nehme den Geruch von Wasser wahr. Tiefes Wasser. Die Luft ist dünn. Es ist kalt.
Höllenlärm wird von kreischendem Gelächter gefolgt. Hier scheint richtig die Post abzugehen. Kneipen, Bars, Lokale. Überall stürmen wild Leute durcheinander rein und raus.
„Wo willst du rein?“
„Ich hab keine Ahnung. Wo geht am meisten?“
„Also dort drüben können wir später hingehen. Da treffen sich die Leute fast ausnahmslos zum Saufen. Auf der anderen Seite gibt es viele Transen und Homosexuelle und ... Moment, mal. Lass uns gleich hier reingehen. Die spielen gute Musik und man kann verrückte Leute kennen lernen. Mit unserer extravaganten Kleidung werden wir kaum auffallen. Hörst du, wie sie lachen? Da dürfen wir nicht fehlen. Come on!“
Zögerlich versuche ich ihm zu folgen, bis er mich an seiner Hand in den Innenraum der Bar zieht. Auf einmal ist er total locker. Es ist schön seine Hand zu halten. Wir können endlich unseren Gefühlen freien Lauf lassen. Ich vertraue ihm. Von außen macht der Schuppen, im Gegensatz zu den anderen Absteigen, ganz schön was her. Uns kommt zuerst eine Wolke aus Kunstnebel und Zigarettenrauch entgegen. Das Zeug brennt ätzend in den Augen, wenn man direkt von draußen in diese Dunstglocke hereinkommt. Ben begrüßt einige Leute, die er von früher kennt. Nobler Kasten. Luftschlangen hängen von der Decke herab. Das Licht ist teilweise gedämpft. Sieht aus wie eine Disco. Jedoch alles etwas kleiner geraten als eine normale Tanzbar. Dafür umso gemütlicher. Die Leute sind nicht einzuordnen. Ihre Kostüme noch weniger. Die haben es ähnlich gemacht wie ich. So lange in alten Sachen gekramt bis sie was gefunden haben, das absolut nicht zusammenpasst. Damit bin ich voll im Trend.
Bens Hand ist warm. Sie gibt mir ein Gefühl der Sicherheit. Leicht reibt er seinen Daumen an der Innenseite meiner Hand. Dieses Gefühl der Vertrautheit inmitten so vieler Unbekannter macht mich neugierig. Nach einiger Zeit haben wir zwei freie Plätze gefunden. Musik, bunt gemischt wie das Publikum, ertönt aus allen Ecken. Schlager, Pop, Rock und ein Haufen Techno.
Ehe ich mich versehe, befinde ich mich auf dem Dancefloor. Abtanzen, falsch mitsingen und über Karnevalgouverneure lachen, die zwischen jedem Song irgendwelche Mainzer Persönlichkeiten dissen. Karneval ist eine hervorragende Erfindung. Man kann ungeniert seine Meinung sagen, ohne ernsthaft dafür belangt zu werden. Bei Nenas 99 Luftballons fallen urplötzlich hunderte Luftballons auf uns herab, begleitet von lautstarkem Knallen. Wo kommen die denn her? Leute, die um diese Zeit schon schlafen gehen, sind zu bemitleiden. Ich greife mir einen Ballon und verprügle Ben damit. Dreiste Aktion. Ehrlich gesagt sieht das nur peinlich aus. Aber es bringt jede Menge Spaß mit sich. Ben schlägt zurück. Zunehmend mehr Spaßvögel schließen sich unserer lustigen Balgerei an. Ich lande in Bens Armen und küsse ihn auf den Mund.
„Der offizielle Teil ist zu Ende. Ab jetzt läuft’s überall gleich ab. Sollen wir woanders hingehen?“
„ Sure. Ich bin neugierig .“
Das war ein ordentlicher Vorgeschmack. Ich bin gespannt, was noch kommen wird. Die Straßen sind deutlich leerer. Ben und ich haben ausgemacht noch in die Schwulenbar zu gehen. Premiere für mich, da ich noch nie in einem Szenelokal gewesen bin. Die haben sogar Türsteher, die trotz Karneval äußerst unfreundlich aussehen und das auch sind. Schwarz gekleidet mit Sonnenbrillen erinnern sie stark an Men In Black , versperren uns breitbeinig und mit verschränkten Armen den Weg. Ben belabert sie ein wenig, weil sie mich nicht reinlassen wollen. Es ist bald 0:00 Uhr und ich bin noch keine achtzehn. Arschlöcher! Ich habe wenig Hoffnung und wende mich von ihnen ab. Aber Ben hat Erfolg. Er holt mich zurück. Ihm zuliebe darf ich rein. Wie hat er das nur wieder angestellt?
Gar nicht zu vergleichen mit der Noblesse von eben. Rustikale Tische und Stühle prägen das Bild. Kreaturen von abscheulicher Hässlichkeit rennen durch die Gegend. Unfähig zu unterscheiden, ob es Schwule, Lesben oder Transen sind, beobachte ich sie genau. Unangenehm nehme ich zur Kenntnis wie peinlich sie sich aufführen. Ich liebe Ben zwar über alles, aber es deshalb so
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