Maschinenkinder
hob er den Kopf und schaute sich um:
Fregatten längsseits der Anlegeplätze, bleischwer und halb im Wasser versunken, die Büge wie Felsen steil über ihm: ein hängender Anker, der gegen einen Vorsteven schlug; verwitterte Schiffszeichen und Muscheln und Tang.
Es war kühler unter den Rümpfen, die das Licht größtenteils schluckten, und Gabriel zog den Reißverschluss seiner Jacke hoch, während er in das bläuliche Zwielicht des Friedhofs vordrang. Ein Geschmack wie Blut legte sich auf seine Zunge; er spuckte aus.
Nach einigen Schritten bog Gabriel links ab und ging auf einen Zerstörer zu, dessen Radarturm den Kai überschattete; Flaggen der französischen Marine hingen dort auf Halbmast – auch Trikoloren; ihr Blau war aschfahl geworden, das Rot verblichen und grau. Der Stolz der Marine, weggeworfen als Schrott. Gabriels Lippen kräuselten sich. Was hatte ihn hergetrieben, auf diesen elenden Friedhof, wo der Rost ganze Flottenverbände zerlegte? Was wollte er hier finden? Und doch wirkte alles seltsam vertraut, die Kanonen und Flaktürme, die Öltanks und Glasfasertaue. Hatte er diesen Ort schon gesehen? Vor dem Blitz? Oder vielleicht danach? Nein, das alles brachte ihm nichts. Wenn er Antworten wollte, musste er weitersuchen.
Gabriel schüttelte die letzten Gedanken ab und beschleunigte seine Schritte, lief unter dem Heck eines Tankers hindurch – zu einem asphaltierten Parkplatz: Hangars aus Wellblech im Hintergrund, davor Telefonzellen. Müllcontainer. Betonsäulen. Und weitere Schiffe, die im gewaltigen Schatten eines Flugzeugträgers lagen.
Erst als Gabriel näher kam, erkannte er fassungslos, was dort im Wasser verrottete: ein U-Boot von stahlblauer Farbe, mit aufgemaltem Maul und Augen wie die eines Buckelwals … ein Leviathan. Unmöglich. Sekundenlang starrte Gabriel hin, völlig perplex, und vergaß auszuatmen. Seine Wangen brannten. Taumelnd ließ er den Seesack von der Schulter gleiten. Das konnte einfach nicht sein, und ungläubig las er die Kennung, die neben dem Maul stand: »U16«.
U14! Gabriel hustete, als er plötzlich verstand und neue Erinnerungsfetzen in ihm hochsprudelten: eine Brücke; ein Kommandant ohne Gesicht; und Sonargeräte, piepsend in meergrünem Halbdunkel. Er war bei der Marine gewesen. Wie hatte die Alte wissen können, dass seine Tätowierung zu einem U-Boot gehörte? Hellseherei? Daran glaubte er nicht, obwohl Gerüchte von solchen Mutationen im Umlauf waren. Zufall, nichts weiter. Was sonst!
Er zwang sich zu einem Schritt.
Welche Matrosen hatten mit ihm gedient? Und wann: 2030 oder 2035? Der Kommandant; sein Gesicht ... diese schrecklichen Fragen kreisten in seinem Kopf, unterbrochen von einem Migräneschub. Schmerzen vernebelten seine Sicht, und sein Herz klopfte. Am Rumpf des U-Bootes fand er sich wieder, eine Hand auf der rissigen blauen Farbe. Er atmete schwer und stoßweise, schluckte die Übelkeit runter.
Sacre dieu de merde!
Als Gabriel den Blick anhob, bemerkte er auf Höhe des Maschinenraums einen klaffenden Riss: Der Ballasttank war in zwei Hälften gespalten, sodass Gabriel direkt in die Eingeweide des U-Boots schauen konnte – im Schatten rostige Rohre, aus denen Kabelbündel hingen; Steuerkonsolen für Brennstoffzellen und Elektroantriebe. Der Boden war überschwemmt, überall Salzkrusten an der Wand. Ob im Innern des Schiffes noch etwas funktionierte? Der Bordcomputer? Er musste nachschauen.
Entschlossen trat Gabriel vom Rumpf zurück und holte seinen Seesack, den er auf die Schulter zog, während er Anlauf nahm, dann quer durch den Ballasttank sprang … und schliddernd im Maschinenraum landete, ausrutschte und mit dem Arm gegen eins der Triebwerke krachte. Gabriel schrie wie am Spieß, ehe er das Bewusstsein verlor.
***
Die Pfütze stank nach Benzin. Noch einen Moment blieb er reglos drin liegen, bis er sich auf den Ellenbogen stützte und schnaufend aufrichtete. Der andere Arm war kalt und taub, und als er ihn bewegen wollte, zuckte ein höllischer Schmerz durch seine Schulter, hoch bis zum Hals.
»Merde!«, brüllte Gabriel. Hoffentlich war nichts gebrochen. Nur schwerfällig kam er auf die Beine und klammerte sich an einem Rohr fest. Unter seinen Füßen spürte er das Meer, den leichten Seegang; das U-Boot schwankte. Irgendwo gluckerte Wasser.
Als Gabriel zur Schleusentür hinüber hinkte, strauchelte er, prallte vor eine Steuerkonsole. Er fluchte – drückte eine Hüfte gegen die Bordwand und schleppte sich so in einen Zwischengang,
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