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Maschinenkinder

Maschinenkinder

Titel: Maschinenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shayol Verlag
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gewesen?
    Nachdenklich ging er an einem Kaffeeautomaten vorbei, musterte die Sorten, da fiel sein Blick auf einen Schreibtisch, der aussah, als wäre eine Bombe eingeschlagen – überall verbrannte Akten; der Bildschirm war blind und schweflig verrußt; ein Becher wie Wachs zerflossen. Jemand hatte eilig Daten vernichtet.
    Er selbst? Ohne zu zögern, legte er Pistole und Seesack beiseite, zog den Stuhl zurück und setzte sich hin. Sein Arbeitsplatz? Konnte das sein?
    Gabriel öffnete eine Schublade und kramte darin herum, bis er eine Kladde fand, die er vorsichtig rausholte. Trotz der vielen Brandlöcher war ihr Titel noch deutlich: Leviathan V.23b . Nachdem er die Asche fortgeblasen, den Deckel aufgeschlagen hatte, sah er, dass alle Seiten mit Formeln bekritzelt waren, Formeln über Formeln, wovon er die meisten nur bruchstückhaft lesen konnte. Dünne, hektische Schrift. Seine eigene? Mit der Rechten griff Gabriel nach einem Bleistift, spitzte ihn an; dann kopierte er eine der Zeilen und eine zweite, dritte – nein, kein Zweifel, das waren seine Notizen. Kalter Schweiß brach ihm aus. So dicht war er dran, das Geheimnis seiner Vergangenheit zu lüften. Die letzten Puzzleteile lagen offen auf diesem Tisch, er musste sie nur noch zusammensetzen.
    Zellkulturen. U-Boote. Was hatte das bloß zu bedeuten? Fieberhaft durchsuchte er die Überreste, warf verkohltes Papier zu Boden, als er auf einen Glaskasten stieß, der unter einer Akte versteckt war … ein Schreibgerät für Speicherstifte.
    Sacre dieu de merde! Deshalb war er doch hergekommen, um die riesigen Datenmengen zu sichten, die ihm der Bordcomputer angezeigt hatte, kurz bevor der Strom ausfiel. Eine Eingebung blitzte durch seinen Kopf:
    Das war ein Backup! Ein Backup seines früheren Lebens, von ihm selbst angefertigt. Er musste es finden. Rasch schaute er sich um: Dieser Rechner war zwar Schrott, aber dort am Wasserbecken stand ein intaktes Terminal auf Standby, die Dioden blinkten. Gabriel zupfte das Schreibgerät ab und sprang auf, um die Kabel neu anzuschließen.
    ***
    Das Interface war ein Datenglobus, der mit Hilfe eines Trackballs in alle Richtungen gewälzt werden konnte. Wie bei einem Equalizer schossen am tiefsten Punkt der Sphäre neue Datenbalken empor – je höher, desto größer die Datei. Gabriel starrte auf den externen Bildschirm und ging die Namen der Verzeichnisse durch. Irgendwo musste seine Akte liegen: Seewolf 45 , aber wo in diesem Chaos aus Testreihen und Forschungsberichten? Immerhin, ein Geheimnis hatte er lüften können: Sie hatten an Delfinen und Orcas geforscht, ihr Verhalten studiert, ihre Gehirnaktivität gemessen; für diesen Zweck stand also das Wasserbassin bereit. Filmmaterial gab es nicht oder Gabriel konnte es nicht finden. Zudem schien ein Eraser viele Daten sicher entfernt zu haben … aber sein Backup, so etwas Wichtiges würde er sicher nicht löschen. Oder doch? Aber was hatte er sonst im U16 gesehen?
    Fragen über Fragen. Es stand ihm bis hier! Rastlos ließ er den Globus kreisen, während er die verfügbaren Files nach Datum sortierte und rückwärts durch die Zeit scrollte, 2048, 2047 – und da stand sie, seine persönliche Akte, ummantelt von Spam: eine breite, meeresgrüne Säule, die wie Gischt in die Höhe schoss. Volltreffer.
    Mit zuckenden Fingern holte Gabriel den zweiten Speicherstift aus der Halsbuchse und führte ihn ins Schreibgerät ein. Er atmete tief durch, wischte sich den Schweiß von der Stirn. Wie war die Tastenkombination gewesen? Jetzt bloß keinen Fehler machen. Sein Herz klopfte, als er einen Befehl ins Keyboard tippte und abschickte.
    Die Sekunden verstrichen … rein gar nichts passierte.
    »Merde.«
    Dann hörte er ein leises Knistern, das aus dem Glaskasten drang, wie Eis, das zerschmolz, ehe der Kristallstift wieder ausgespuckt wurde: rote Skala – das Volume war voll.
    Gabriels Finger zitterten jetzt so stark, dass er den Datenträger erst in die andere Hand legen musste. Sein Puls raste, er spürte seine Schlagader am Hals, und neue Migräne versetzte ihm einen qualvollen Stich. »Tu es«, knurrte er, heftig atmend, um sich selbst zu beruhigen. »Sei kein Schlappschwanz, verdammt.«
    Nervös quetschte er den Stift zwischen zwei Fingerkuppen und führte ihn bis zum Hals – kratzte über die Keramik, suchte die Buchse.
    Die Spitze flutschte rein.
    Das Implantat sprang an.
    Und plötzlich: Eislicht, das in seinem Kopf splitterte: ein Diamant, mit Erinnerung geschliffen, jede Facette

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