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Maschinenkinder

Maschinenkinder

Titel: Maschinenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shayol Verlag
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ein Jahr; jedes Glitzern eine Stunde, Minute, Sekunde; zu viel, zu grell, sein Schrei zerklirrte in tausend Spiegeln, alle Scherben schnitten tiefer, und Gabriel trudelte, fiel, schreiend vor Schmerz …
    ***
    … Blackout. Irgendwie hatte er es geschafft aufzustehen. Sein Blick war verschwommen, sein Schädel hämmerte wie wild, als hätte er eine Überdosis Kokain geschnupft – Stimmen, Bilder, Gefühle, die auf ihn einprasselten und die er nicht unter Kontrolle bekam; flackerndes Stakkato.
    Keine Luft! Er musste raus, sofort. Das Gewicht der Alpen zerdrückte ihn!
    Unter starkem Brechreiz kam er zum Schreibtisch, griff nach der Waffe und dem Seesack und stützte sein Gewicht ab, ehe er zur Labortür wankte – ihr Rahmen ein verbogenes Oval, wie unter Wasser verzerrt. Keuchend schleppte er sich vorwärts, einen Schritt, und noch einen Schritt, dann war er draußen, auf dem Gang, und Neonlicht brannte in seinen Augen, während er nach links abbog, eine Hand an der Felswand. Blut lief ihm aus der Nase, er leckte es von den Lippen, schluckte es runter.
    Gabriel hinkte einige Meter, bis seine Knie nachgaben; er stolperte und fiel. Mit letzter Kraft krallte er sich an einer Kiste fest, zog sich hoch auf die Beine. Er machte ein paar Schritte. Stürzte. Rappelte sich wieder auf, um erneut zu stürzen. So erreichte er schließlich das Tunnelgewölbe, und giftgrüne Schatten schlugen über ihm zusammen. Halbblind kroch er auf allen vieren weiter, folgte seinen eigenen Spuren im Sand, zurück zum Bunkertor, als ein gläserner Flashback explodierte:
    Polierte Stiefel. Ein Mann in Uniform, der ihm von oben die Hand hinstreckt. Gabriel liegt am Boden, neben sich ein umgekipptes Dreirad, dessen Hinterrad sich noch dreht. Er weint, seine Wangen brennen. »Meine Hose … Papa, sie ist kaputt gerissen.«
    »Das kommt davon, wenn du ohne zu schauen über die Straße fährst. Hast du das Fahrrad nicht gesehen?«
    »Nein, Papa. Es tut so weh, Papa.«
    »Steh jetzt auf!«, fordert der Mann in geübtem Befehlston. »Wisch dir die Tränen ab.«
    Sein Vater! – Aber er konnte das Gesicht nicht erkennen, da waren nur diese Augen, kalte, eisblaue Augen, umflort von Nebelschwaden. Benommen stierte er ins Dunkel, bevor ein Migräneschub den Spiegel zertrümmerte: Die Erinnerung verschwand so rasch wie sie gekommen war, wurde durch einen zweiten Flashback ersetzt, während Gabriel schlotternd weiterkroch:
    Eine Kommandobrücke, auf dem Bildschirm die Tiefsee: smaragdgrüne Planktonwolken, durchzuckt von einem Fischschwarm, der im Scheinwerferlicht kurz aufblitzt. Sein Vater steht über eine Holokarte gebeugt und studiert die projizierten Berge und Täler mit denselben kalten Augen. Neben ihm: sein Bruder Philippe im Matrosenanzug; als einfacher Fähnrich.
    »Nein, ich bin dagegen«, sagt ihr Vater streng, ohne den Blick von der Karte zu nehmen. »Ihr beide habt einfach nicht die Erfahrung, die Risiken eines solchen Manövers abzuschätzen; ich sage: non!«
    Philippe räuspert sich. »Aber Vater –«
    »Was war das?«, schneidet er ihm das Wort ab. »Sie sind im Dienst, Soldat!«
    »Excusez-moi, Capitaine! Aber sollten wir jetzt nicht durchbrechen, drücken uns die Reisfresser bis auf den Meeresgrund runter. Bald wimmelt es hier nur so von Minen.«
    »Ich bin der Kommandant!«, brüllt ihr Vater und schlägt mit der Faust auf den Tisch; die Projektion zuckt. »Ich treffe hier die Entscheidungen, verdammt, und ich sage: sofortige Kehrtwende um hundertachtzig Grad. Danach volle Fahrt voraus.«
    »A vos ordres!« Für einen kurzen Moment schaut Philippe in Gabriels Richtung und schüttelt dabei kaum merklich den Kopf. Seine Lippen werden schmal.
    Der Schmerz! Hart wie eine Woge rollte er über seinen Rücken hinweg, drückte sein Gesicht in den Sand. Gabriels Augen tränten; nur vage konnte er das Bunkertor sehen, hinten, weit hinten – schier unerreichbar für ihn. Mit größter Anstrengung stemmte er sich auf die Ellenbogen und hob die Brust an. Er musste es schaffen, raus, raus aus diesem muffigen Tunnel, um frische Luft zu atmen! Doch wieder zerbrach ein Flashback in seinem Kopf, gerade als Gabriel sich auf die Knie ziehen wollte:
    Gequälte Tierschreie hallen durch das Militärlabor: ein Orca im Becken, der mit seiner Fluke das Wasser aufpeitscht – angeschlossen an die medizinischen Apparate ringsum. Seine schwarze glänzende Haut ist an vielen Stellen schrundig und von Ekzemen durchsetzt, dort, wo ihm Metallsonden und Schläuche

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