Maschinenmann: Roman (German Edition)
abgebrochen.«
»Ja.«
»Diese Therapie ist entscheidend für Ihre Genesung. Warum haben Sie damit aufgehört?«
»Dave war mir unsympathisch.«
»Er muss Ihnen nicht sympathisch sein. Hauptsache, Sie tun, was er sagt.« Dr. Angelica runzelte die Stirn.
Sie trug glitzernde Ohrringe. Die einzige Extravaganz in ihrer ansonsten nüchternen Erscheinung. Diese Dinger musste sie bei einer OP bestimmt abnehmen. Schließlich konnte man nicht das Risiko eingehen, dass kleine Schmuckstücke in die Brusthöhle eines Patienten fielen. Sie waren kontrafunktional, was wiederum bedeutete, dass Dr. Angelica ihr Aussehen über ihren Beruf stellte. Auch das war womöglich ungerecht. Vielleicht hatte sie heute einfach keine Operation.
»Es wird Zeit, dass Sie sich mit der Prothetikerin treffen.«
Einen Moment lang glaubte ich, sie hätte von einer Prostituierten gesprochen. »Eine Prothese?«
»Ja.« Dr. Angelica starrte mich streng an, als müsste ich mich glücklich schätzen, überhaupt eine Prothese zu bekommen. Anscheinend war sie der Meinung, dass ich ihre Operation gar nicht verdient hatte. »Sie versteht was von ihrem Fach.«
»Ich brauche keine Prothese.« Mir ging durch den Kopf, was das bedeutete: Wieder gymnastische Verrenkungen, das Festklammern an Holzgeländern, die mühsame Koordination verschiedener Körperteile. »Der Stuhl reicht mir. Bei der Arbeit sitze ich sowieso den ganzen Tag. Zu Hause auch. Ich treibe keinen Sport.«
»Fahren Sie Auto? Gibt es in Ihrem Haus Stufen? Benutzen Sie manchmal eine Rolltreppe? Wie oft am Tag stehen Sie auf?«
Ich blieb stumm.
»Sie sind nicht wertlos«, erklärte Dr. Angelica. »Nicht zerstört. Sie haben nur eine geringfügige Behinderung und können lernen, damit zurechtzukommen.«
Ich war ein kränkliches Kind. Das dürfte wohl niemanden überraschen. Als ich klein war, habe ich ganze Sommer drinnen verbracht, die Vorhänge zugezogen, um mich vor dem Gejohle und Lachen der Kinder draußen auf der Straße zu schützen. Drüsenfieber. Mit Lungenkomplikation. Als ich in die Schule zurückkehrte, überreichte ich dem Lehrer im Sportunterricht ein Attest, das es mir erlaubte, stattdessen die Bibliothek zu besuchen. Dieses Attest ließ er sich jedes Mal wieder vorzeigen, obwohl bis zum Ende des Schuljahrs darauf stand. Er erwartete, dass ich mich für den Sportunterricht entscheiden und das Attest vergessen würde. In der Bibliothek las ich von Zügen, DNA und dem Bau des Hoover-Staudamms. Als ich auf dem Heimweg vor einem Bahnübergang eine sich schließende Schranke beobachtete, wusste ich, wie das funktionierte: Die Räder eines sich nähernden Zugs hatten den induktiven Widerstand der Gleise unter ein vorprogrammiertes Niveau gesenkt.
So kam es, dass ich warf wie ein Vierjähriger. Ich konnte nicht fangen. Wenn ich lief, ruderte ich mit Armen und Beinen herum wie ein Ertrinkender. Beim Baseball schlug ich voller Hoffnung nach den Bällen, war aber nicht weiter überrascht, wenn ich nicht traf. Beim Fußball ließen mich die gegnerischen Spieler stehen, als wäre ich gar nicht da.
Als ich älter wurde, wendete sich das Blatt allmählich. Nicht, dass ich ein besserer Sportler wurde. Aber es spielte eine geringere Rolle. Im Abschlussjahr hatten die meisten Kinder, die rennen und springen und Bälle wie Wurfgeschosse schleudern konnten, die Schule bereits verlassen. Auf einmal war es nützlich, intelligent zu sein. Zwar kam kein Mädchen mit Lehrbüchern zu mir, um mich zu bitten, ihr bei den Hausaufgaben zu helfen, aber es rückte zumindest in den Bereich des Möglichen. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen Entwicklung stieg. Ich besuchte das Massachusetts Institute of Technology, und im Maschinenbau interessierte sich niemand für Sport. In Wellenausbreitung gab es ein Mädchen. Jenny. Als ich einmal ein Referat über Hydrodynamik hielt, nickte und lächelte sie ständig. Eine Woche lang zerbrach ich mir den Kopf, wie ich sie um eine Verabredung bitten sollte. Dann kam ich in den Seminarraum, und dort war ein Typ, der mit den Füßen einen kleinen Beutel in die Luft schoss und andere Tricks vorführte. Jenny schaute ihn auf ganz bestimmte Weise an, und mir wurde klar, dass sich doch nicht so viel verändert hatte.
Wie eine Hindugöttin spazierte die Prothetikerin mit einem Packen künstlicher Beine unter beiden Armen durch die Tür. Sie warf die Beine auf mein Bett und beäugte mich durch ihre Brille. Ihr braunes, schlaffes Haar war zu einem erbarmungslosen
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