Maschinenmann: Roman (German Edition)
gefährlich.«
Dr. Angelica zückte einen Stift und notierte etwas auf mein Patientenblatt.
»Kommt Lola Shanks zu mir?«
»Später vielleicht.«
»Warum sind alle sauer auf mich?«
Dr. Angelica Austin ließ das Klemmbrett sinken. »Niemand ist sauer auf Sie.«
Doch sie sah sauer aus. Dann ging sie.
In dieser Nacht breitete sich ein furchtbares Kribbelgefühl in beiden Beinen aus. Um Mitternacht sollte ich eigentlich Schmerzmittel bekommen, aber es war schon 0.17 Uhr. Und noch immer keine Medikamente im Anmarsch. Ich schwitzte und zitterte, und schließlich drückte ich den Klingelknopf. Ununterbrochen.
Neun Minuten später erschien Schwester Veronica. Sie funkelte mich an wie einen Schmutzfleck. »Ach, das tut mir leid. Ich war mit Patienten beschäftigt, die wieder gesund werden wollen.«
Tage vergingen, und niemand besuchte mich. In dieser Hinsicht war es ganz ähnlich wie beim ersten Mal. Der Unterschied war nur, dass ich mir jetzt Besucher wünschte. Na ja. Nicht irgendwelche Besucher. Eine bestimmte Besucherin. Ich wollte, dass Lola Shanks hereinplatzte, beladen mit ihren Beinen.
Doch ich durfte nicht riskieren, nach ihr zu fragen. Da mir die Pfleger inzwischen feindlich gesinnt waren, wäre es ein strategischer Fehler gewesen, ihnen zu verstehen zu geben, dass ich etwas Bestimmtes wollte. Mein Essen war ein Beweis dafür. Andererseits konnte ich auch nicht bloß warten. Am fünften Tag legte ich mir den Plan zurecht, mich hinaus zum Telefon im Korridor zu schleppen. Bevor ich ihn in die Tat umsetzen konnte, passierte das Wunder, und sie erschien. Sie hatte keine prothetischen Gliedmaßen dabei. Nur sie war es, in einem weiten Krankenhaushemd und Trainingshose. Sie schwebte durch die Tür und starrte mich durch ihre Brille an.
Ich setzte mich auf. »Hi! Hi.«
Kurz vor meinem Bett stoppte sie ab. »Sie haben Ihr anderes Bein zerquetscht.«
»Ja.«
»Absichtlich.«
»Ja.«
»Warum?« Wie ein schwerer Brocken rutschte das Wort aus ihrem Mund. Platschend fiel es auf den Boden und blieb liegen.
»Weil …« Ich wusste nicht, wie ich es ihr erklären sollte. Es lag doch auf der Hand. Sie hatte meinen Prototyp gesehen.
»Wollen Sie sterben?«
»Nein!«
»Hassen Sie sich selbst?«
»Nein. Also.« Ich überlegte. Es gab Teile an mir, von denen ich keine besonders hohe Meinung hatte. Aber ich hasste sie nicht. Ich war nur der Ansicht, dass sie hätten besser sein können. »Nein.«
»Mögen Sie Schmerz?«
»Was? Natürlich nicht.«
»Dann ist Ihr Verhalten völlig sinnlos.«
»Wenn sich jemand mit dem Laser die Augen korrigieren lässt, denkt niemand, dass er sich Schaden zufügen will. Der Betreffende nimmt einfach kurzfristige Schmerzen in Kauf, um seinen Körper zu verbessern. Und Sie … Sie machen Physiotherapie. Sie bringen Leute dazu, dass sie schwitzen und sich anstrengen und qualvolle Übungen machen. Und Sie haben Löcher in den Ohren. Haben Sie sich die Ohrläppchen durchbohren lassen, weil Sie sich hassen? Steht vielleicht als Nächstes Selbstmord auf dem Programm?« Ich ließ mich in meinem Argumentationsfluss nicht beirren, obwohl Lola zischend die Luft einsog. »Mein Ziel ist nicht Schmerz. Der Schmerz ist ein Nebeneffekt des menschlichen Körpers, der so mangelhaft ist, dass man wesentliche Verbesserungen nur erreicht, wenn man das Vorhandene ausrangiert und ganz von vorn anfängt. Ich möchte einfach eine Qualitätssteigerung erreichen. Das ist doch ganz normal. Andere Leute gehen dafür ins Fitnessstudio. Der einzige Unterschied ist, dass ich Zugang zu besserer Technologie habe.«
Ich merkte, dass ich zu weit gegangen war. Lola bewegte sich. »Warten Sie«, rief ich. »Lassen Sie es mich anders ausdrücken.«
Aber sie lehnte sich schon über mich. Und bevor ich wusste, wie mir geschah, küsste sie mich.
Einmal bei einer Party am MIT unterhielt ich mich auf einer zerschlissenen Ledercouch mit einem Mädchen über alternative Universen. Sie beugte sich vor, als wollte sie etwas sagen, fiel aber stattdessen mit offenen Lippen auf mich. Im Grunde ist mir noch immer nicht klar, wie es dazu kam. Vermutlich hatte es etwas damit zu tun, dass ihre Pupillen erweitert waren. Jedenfalls war es schockierend, und ich hatte keine Ahnung, wie ich mich verhalten sollte. Beim Küssen hatte ich die ganze Zeit schreckliche Angst, dass ich es vermasseln könnte und dass sie aufhören würde. Schließlich wurde ihr Kopf schwer und ihr Küssen weniger drängend, dann schlief sie ein. Das merkte ich
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