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Maschinenmann: Roman (German Edition)

Maschinenmann: Roman (German Edition)

Titel: Maschinenmann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Barry
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Zeit und muss wieder zurück, um sie zu ermorden.«
    »Oh.«
    »Ja«, meinte Carl. »Irgendwie traurig.«
    »Könnte ich es lesen?«
    »Ich weiß nicht, ob es Ihnen gefällt. Es ist kein besonders intelligentes Buch.«
    »Ich habe sonst nichts zu tun.«
    Er trat hinaus in den Korridor, um den Roman zu holen. Der Titel hieß Furchen im Über-All. Vor einem brennenden Haus zeichnete sich die Silhouette eines Mannes ab. Die Seiten waren wellig und vergilbt.
    »Anscheinend ein Lieblingsbuch.«
    »Ja. Meine Verlobte ist gestorben.«
    »Oh.«
    »Aber nicht bei einem Feuer. Bei einem Autounfall.«
    »Oh.« Ich überlegte fieberhaft, was ich sagen sollte. Damit hatte ich nicht gerechnet. »Mein Beileid.«
    »Danke. Ist schon acht Jahre her.«
    »Ich hatte nie eine Verlobte.«
    »Oh«, machte Carl.
    »Aber ich hätte gern eine.«
    »Ja, ich kann … äh … es nur empfehlen.« Schweigen. »Sie versteht einen. Was es heißt, verstanden zu werden, kapiert man erst, wenn man es erlebt hat und … auf einmal nicht mehr erlebt.«
    Ich nickte. Das entsprach ziemlich genau meiner Vorstellung. Ich drehte das Buch in den Händen.
    »Das Titelbild ärgert mich«, bemerkte Carl. »In dem Buch steht er nie vor einem Haus. Es ist eine Wohnung. Und er kriegt die Tür nicht auf. Deshalb muss seine Verlobte sterben. Sie ist da drin, und er schafft es nicht, die Tür aufzubrechen. Er ist nicht stark genug. Warum machen die so ein falsches Titelbild?«
    Ich schüttelte den Kopf. Ich wusste es nicht.
    »Dabei ist es wichtig. Der wichtigste Teil des ganzen Buchs. Meine Lily … ich konnte sie nicht aus dem Wagen ziehen. Auch ich war nicht stark genug.« Er ließ die Knöchel knacken. »Damals habe ich noch nicht trainiert. Hab die Wagentür nicht aufgebracht.«
    »Das ist schlimm.«
    »Ja«, stellte er fest. »Es war wirklich schlimm.« Er erwiderte mein Nicken. Das gemeinsame Schweigen war angenehm. Dann wieder weniger. Schließlich fuhr Carl fort: »Jedenfalls … halte ich die Augen offen, damit ich nicht von einem Riss in der Zeit überrascht werde.«
    »Die Chronologieschutzvermutung spricht gegen die Möglichkeit von Zeitreisen.« Als Carl stumm blieb, fügte ich hinzu: »Ich meine … sie sind äußerst unwahrscheinlich.«
    »Ich weiß.«
    Ich überlegte, wie ich mein Argument untermauern sollte. Aber es war zu spät, und die Stille dehnte sich.
    »Ich hoffe, das Buch gefällt Ihnen«, sagte Carl.
    »Danke.«
    Zwei Tage verstrichen. Carl wurde von einem Typen abgelöst, der mit dem Fuß klopfte und Melodien aus Fernsehsendungen summte. Er kam herein und fragte, ob ich das Spiel der Knicks gesehen hatte. Ich wusste nicht, von welchem Sport da die Rede war, und damit war die Sache beendet. Ich vertiefte mich in Carls Buch. Der Held wollte sein Leben in Ordnung bringen, wurde aber immer wieder von den Gesetzen der Physik daran gehindert. Natürlich nicht von den tatsächlichen Gesetzen der Physik, sondern von denen im Buch. Mir gefiel, dass er es immer wieder probierte. Er nahm immer wieder einen neuen Anlauf, um die Grenzen der Welt zu durchbrechen. Diese Beharrlichkeit beeindruckte mich. Die Vorstellung, dass man auch Unmögliches schaffen konnte, wenn man nur nicht aufgab.
    Schweißgebadet und nach Luft ringend, fuhr ich aus einem Traum von winzigen, schrumpfenden Räumen. Ich spürte Tausende von Nadelstichen in den Beinen. Mein Körper wehrte sich. Er teilte mir mit, dass er keine Teile mehr verlieren wollte. Das ärgerte mich, weil ich geglaubt hatte, diese Phase schon hinter mir zu haben. Mein Körper sollte endlich einsehen, dass ich von inneren Organen keine Befehle entgegennahm. Ich war ein Bewusstsein, das von einem biologischen Wirt versorgt und unterstützt wurde, nicht umgekehrt. Diese selbstsüchtigen Klumpen aus Fleisch und Synapsen sollten sich gefälligst an das Programm halten, denn wenn es hart auf hart ging zwischen ihnen und mir, saß ich sicher am längeren Hebel.
    Ich erwachte von Lolas Stimme. Es war Tag, und mein Gehirn war benebelt. Wie ein Ertrinkender versuchte ich, nach oben zu tauchen. »… nur eine Minute?«
    »Tut mir leid, Ma’am.« Der neue Wachmann.
    »Lola«, krächzte ich.
    »Charlie?«
    »Tut mir leid, Ma’am. Sie dürfen da nicht rein.«
    »Eine Minute.«
    »Nein, Ma’am.«
    »Ich will sie sehen«, rief ich. »Lassen Sie sie rein.«
    »Nein, Ma’am.« Der Wachmann nahm meine Existenz überhaupt nicht zur Kenntnis. »Tut mir leid.«
    Am fünften Tag entfernten sie die Schläuche. Auch die Katheter.

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