Maschinenmann: Roman (German Edition)
schon jetzt im Namen der Mode Löcher in den Körper bohren. Wir stecken uns Metall in die Ohrläppchen, in die Lippen, ins Kinn und sonst wohin. Solche Kids kennen wir doch alle. Diese Zielgruppe schwebt ihnen vor. Tragbare Accessoires. Mit besserer Funktion. Supersexy Cyberkörper. Charlie, Sie haben der Firma zu der Einsicht verholfen, dass wir direkt vor unserer Nase einen Riesenmarkt haben. Vor und in unserer Nase. In uns . Und wir als Unternehmen haben die Chance, diesen Markt als Erste zu erschließen. Deswegen werden Sie finanziert. Verstehen Sie den Zusammenhang jetzt besser?«
Ich dachte eine Weile nach. »Ein wenig.«
Sie lächelte. »Keine Ursache.«
Cassandra Cautery ging neben mir her, als mich Carl zu den Labors rollte. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass sie mich zur Glashalle bringen würden, doch wir bogen links ab zu Labor 4. Mehrere junge Leute, vermutlich meine neuen Assistenten, drängten sich auf dem Korridor. Erst nachdem mich Carl schon fast an ihnen vorübergeschoben hatte, wurde mir klar, warum sie vor dem Labor warteten: Drinnen war kein Platz mehr. Von einer Wand zur anderen reihten sich die Weißkittel. Nur die Mitte war frei. Dort standen meine Beine unter mehreren Scheinwerfern. Man hatte sie poliert. Sie waren wunderschön. Das sah Cassandra Cautery ganz richtig. Ich war ein wenig überrascht, dass jemand anders das erkannt hatte, denn sie waren nur insofern schön, als sie funktionierten. Bündel aus plastikummanteltem Draht, dick wie mein Handgelenk, schlängelten sich zwischen Stahlstreben und um geölte Federkolben. Das Computergehäuse klebte mit schwarzem Isolierband an der Hüfte. Die Waden beugten sich nach hinten wie bei einer Gazelle. Die Füße bestanden aus kugelummantelten Umlaufmotoren mit drei langen Zehen, von denen einer nach vorn und zwei nach hinten ragten.
Die Leute klatschten Beifall. »Sie sind mein Idol«, rief Jason, den ich noch gar nicht bemerkt hatte.
»Was?« Ich glaubte, mich verhört zu haben.
»Sie und Isaac Newton. Und Barry Marshall. Und die Curies. Die Menschen eben, die für ihre Wissenschaft alles riskieren. Die auch nicht vor Selbstversuchen zurückschrecken. Meine Hochachtung.«
Carl rollte mich zu den Beinen.
»Im Vergleich zu Ihnen ist Kevin Warwick ein Weichei«, fuhr Jason fort. »Der sollte sich schämen für seine läppischen Experimente!«
Carl hob mich in die Luft wie ein kleines Kind. Er trug mich zu den Beinen, als müsste er mich aus einem brennenden Haus retten. »Gut so?« Auf mein Ja hin ließ er mich vorsichtig in die Fassungen sinken. Ich zog eine Grimasse, als mein empfindlicher linker Stumpf über Plastik scharrte. Dann berührte mein Hintern den Sitz, und es war in Ordnung. In diesen Beinen musste ich nicht stehen, ich konnte mich ganz entspannt niederlassen. Meine Hände bewegten sich hinunter zu den Hüften. Dort waren die Steuerelemente. Die Daumen fanden die Zündknöpfe und drückten. Für ihre Ausgangsleistung waren meine Motoren extrem leise. Doch besonders leise war das immer noch nicht. Meine Beine erhoben sich auf den Zehen, beugten sich, rasteten ein.
Mein Publikum schrie und jubelte. Cassandra Cauterys Augen leuchteten. Ich grinste. Der Applaus schien endlos zu dauern. Ein tolles Gefühl, aber auch beängstigend. Ich wollte, dass sie verschwanden, damit ich allein mit meinen Beinen spielen konnte, aber ich wünschte mir auch, dass sie ewig bleiben würden.
Ich gab dem linken Bein einen Vorwärtsbefehl. Es hob und streckte sich, dann stampfte es nach unten. Am Boden krachte es. Ich konnte nur hoffen, dass es der Boden war. Beides konnte zum Problem werden. Ich drückte auf den rechten Knopf und machte einen Ausgleichsschritt. Durch die Bewegung schaukelte mein Körper hin und her, und ich befürchtete schon, dass ich herausfallen könnte. Schnell nahm ich die Hände von der Steuerung und klammerte mich am Sitz fest. Doch es war okay. Ich konnte mich darauf einstellen. Im Grunde war es nicht anders als Reiten. Zumindest malte ich es mir so aus, denn ich hatte noch nie auf einem Pferd gesessen. Nachdem ich mein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, machte ich den nächsten Schritt. Noch einen. Krach. Krach. Die Menschen wichen mir aus. Zwei hielten Camcorder in der Hand. Ich musste das Labor räumen. Mit den vielen Leuten hier konnte ich unmöglich arbeiten. Erst jetzt wurde mir klar, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich mit den zwanzig Laborassistenten zurechtkommen sollte. Schon drei hatten mich ins
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