Maschinenmann: Roman (German Edition)
Als sich Dr. Angelicas Arm bewegte, dachte ich: O Gott, sie will die Spritze zerschlagen. »Warten Sie! Ich weiß Ihre Sorge zu schätzen. Aber es ist mein Körper. Ich kann meine eigenen Entscheidungen treffen.«
» Sie sind mir völlig egal. Von mir aus können Sie sich in würfelgroße Stücke zerschnipseln. Mir kommt es auf Lola an.«
»Lola geht es doch gut. Sie ist in Sicherheit.«
»Ach?«
»Ja!« Allmählich geriet ich wirklich in Panik. Die Spritze war fast in Reichweite. »Was wollen Sie von mir hören?«
»Ich will von Ihnen hören, dass Lola vollkommen ist, so wie sie ist.«
Ich zögerte. Gibt es einen vollkommenen Menschen? Man kann nicht meistens vollkommen sein. Oder manchmal. Entweder man ist vollkommen oder nicht. Und ich glaube nicht, dass die Biologie etwas Vollkommenes schafft. In der Biologie geht es um eine leistungsfähige Annäherung. Gut genug lautet ihre Devise. Ein Vakuum ist vollkommen. Pi ist vollkommen. Das Leben nicht.
Aber mir war klar, dass ich damit bei Dr. Angelica nicht landen konnte. Außerdem hatte sie gar nicht danach gefragt, ob ich Lola für vollkommen vollkommen hielt, sondern ob ich sie biologisch vollkommen fand, also gut genug. Und die Antwort darauf fiel mir leicht. »Lola ist vollkommen, so wie sie ist.«
»Sie haben gezögert.«
»Was?«
»Was gibt’s da groß nachzudenken. Entweder Sie wollen sie zerschneiden oder nicht.«
»Nein, warten Sie. Ich musste mir erst Ihre Definition von vollkommen übersetzen.« Medizin. Es wurde als Wissenschaft bezeichnet, doch in Wirklichkeit war es eher ein Kunsthandwerk mit lateinischen Namen. »Ich will Lola nicht zerschneiden.«
»Ich glaube Ihnen nicht.«
»Sie verstehen doch nicht mal, was ich mache. Es geht nicht ums Schneiden. Das Schneiden ist nur eine unausweichliche Voraussetzung für die Steigerung der Funktionalität.«
»Weiß Lola, dass Sie ihre Funktionalität steigern wollen?«
»Ich will Lola nicht verbessern!«
»Quatsch.« Angelica hob die Spritze.
Diesmal war ich sicher, dass sie sie zerschmettern wollte. Meine Beine stotterten nach vorn. »Ich schwöre bei Gott …«
»Ich merke genau, dass Sie lügen!«
»Nein!« Meine Beine machten noch einen Schritt, einen großen. Dr. Angelica wich zurück zur Tür. Meine Beine waren kurz davor, sie zu treten. Einfach durch die Tür. »Moment!«, jaulte ich. »Nicht! Es gibt kein Problem! Ich verspreche es, alles ist in Ordnung. Ich schwöre! Ich schwöre es!« Die Beine bewegten sich nicht. Ich schloss die Augen. Glückliche Gedanken. Ich entspannte mich hier im Bad, ganz allein. Ich wollte nirgendwohin. Nein, ich wollte mich auf keinen Fall bewegen.
Dr. Angelica schniefte. Bestimmt war ich durch diesen Verlust der Kontrolle über meine Beine noch mehr in ihrer Achtung gesunken. Ich hatte keinen Schimmer, wie ich dem Ganzen eine positive Seite abgewinnen sollte. Doch als ich die Augen aufschlug, war ihr Gesichtsausdruck weicher. »Na ja, das war wenigstens ehrlich.« Nach einem Blick auf die Spritze legte sie sie aufs Waschbecken. »Waschen Sie sich, wenn Sie fertig sind. Sie riechen.« Dann öffnete sie die Badtür und verschwand.
Ich brauchte ein wenig, bis ich begriff. Dr. Angelica glaubte, dass ich mit ihr geredet hatte.
»Sie fragen alle nach Ihnen.« Dr. Angelica streckte die Hand über den Tisch und spießte eine Kartoffel auf. »Im Krankenhaus.«
Eine Gabel voll Salat erstarrte auf halbem Weg zu Lolas Mund. »Wer fragt?«
»Leute von Better Future«, antwortete Dr. Angelica. »Sie treiben sich überall rum und verlangen, dass wir jeden Kontakt melden.«
Ich passte gar nicht richtig auf, denn ich redete mit meinen Beinen. Hallo, könnt ihr mich hören?
»Was hast du ihnen erzählt?«
»Nichts.«
Lola warf mir einen Blick zu. »Was sollen wir jetzt tun?«
Mir fiel ein, dass ich essen musste, also erdolchte ich eine Karotte.
»Das hab ich dir schon erklärt.« Dr. Angelica beugte sich nach unten und klaubte einen Hund auf, der zu ihren Füßen winselte. Über das Tischtuch hinweg fixierte er mich mit leuchtenden Augen. »Geht zur Bundespolizei. Erzählt den Beamten, dass die Firma illegale medizinische Versuche macht. Dann ist Better Future erledigt, das garantiere ich dir.«
Gebt mir ein Zeichen. Ein Zucken. Irgendwas.
Dr. Angelica kraulte dem Hündchen die Ohren. »Er kriegt Schwierigkeiten, das lässt sich nicht vermeiden. Immerhin hat er einen Menschen umgebracht. Aber entscheidend ist, dass ihr euch die Firma vom Hals schafft. Die ist
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