Maschinenmann: Roman (German Edition)
durchschlagen. Gemessen an meinem üblichen Pharmakonsum war das ein herber Rückschritt. Jedes Kläffen dieser verkleideten Ratten fuhr mir wie ein Messerstich ins Gehirn.
»Ich mach dir einen Toast und bring dir Wasser«, verkündete Lola.
Sie kehrte zurück in die Küche. Ich wollte gar nicht so gereizt sein. Es war mein Körper, der mich für den Entzug von Schmerztabletten bestrafte. Lola hat dir deine Körperteile weggenommen, zischte mein Körper. Sie hat sie dir genommen, während du geschlafen hast. Standhaft ignorierte ich diese Einflüsterungen. Ich hatte nicht die Absicht, mich auf eine Diskussion mit meinem Körper einzulassen. Ich würde ihm geben, was er verlangte. Doch eines Tages musste er dafür zahlen. Better Future war nicht die einzige Firma mit einem Forschungslabor. Ich würde mir etwas ausdenken. Es war noch nicht vorbei. Da war ich mir völlig sicher.
Um 18.18 Uhr kam Dr. Angelica nach Hause. Jeder Muskel in meinem Körper war wie aus Glas. Meine Eingeweide waren in Aufruhr und meine Nerven schreckhaft. So oft wäre ich beinahe aus Versehen auf eins der herumsausenden Hündchen getreten, dass ich kurz davor stand, es absichtlich zu tun.
Sie hörten Dr. Angelica eher als ich und stürzten mit wildem Gebell durch den Flur, um wie von Sinnen an der Tür zu scharren. Einen bestürzten Moment lang bildete ich mir ein, dass es Carl war, dann fiel Dr. Angelica auf die Knie und schaufelte sich so viele von den Tierchen auf die Arme wie nur möglich. Sie lachte, als sie sich um sie wanden und ihr das Gesicht leckten. Irgendwie abstoßend das Ganze. Ich meine, ich verstehe natürlich, dass es schön ist, sich wiederzusehen, aber ein Mindestmaß an Würde sollte man doch wahren. Man muss sich nicht gleich auf den Rücken werfen und die Genitalien vorzeigen. Ich weiß nicht, wie jemand etwas an einer derart sklavischen Hingabe finden kann. Da fehlt einfach jede Objektivität. Mit Religion geht es mir ganz ähnlich.
Dr. Angelica stellte eine Tasche auf den Boden. Dies war eine der seltenen Situationen, wo auch mir die sozialen Regeln klar vor Augen standen: Ich musste Angelica eine Minute Zeit für ihre Hunde lassen, bevor ich fragen durfte, ob in dieser Tasche vielleicht Schmerzmittel für mich waren. Schweigend wartete ich am Ende des Flurs, ohne mir anmerken zu lassen, dass jede Faser meines Körpers weinte.
Endlich blickte sie auf. »Medikamente?«
Meine Zähne klapperten. »Ja, bitte.«
»Sie hätten die Mittel allmählich zurückfahren sollen.« Dr. Angelica zog eine klare Flüssigkeit aus einer Ampulle. »Für so eine hohe Dosierung gibt es keinen Grund mehr. Wer ist Ihr Arzt bei der Firma?«
»Ich.« Ich lächelte mein Ebenbild im Badspiegel an. Die Vorfreude hatte mich gepackt. Ich und mein Körper saßen in einem Achterbahnwagen, der gerade bis zum höchsten Punkt hinaufgekurbelt wurde.
»Das ist nicht in Ordnung. Diese Sachen machen süchtig.«
»Sucht – was ist das? Niedrige Mengen Dopamin im Gehirn. Das lässt sich reparieren.«
»Was?«
»Ich kann mein Gehirn reparieren.« Ich verstummte, weil Dr. Angelica auf einmal nicht mehr den Eindruck erweckte, als wollte sie mir eine Injektion verabreichen. »Sind Sie …«
Sie trat zur Badtür und schloss sie. Dann stand sie einfach nur da. Mein Gehirn fing an, Vorschläge zu machen, wie ich ihr die Spritze entwinden könnte, ohne sie zu zerbrechen.
»Sie sind noch nicht am Ende. Sie wollen weitere Körperteile durch Prothesen ersetzen.«
Ich zögerte. »Das Wort Prothese gefällt mir nicht. Es unterstellt, dass es sich um einen minderwertigen Ersatz handelt. Aber ich verbessere mich. Wussten Sie, dass ich nur an ein Ziel denken muss, damit mich meine Beine hinbringen?« Diesen Umstand brachte ich ins Spiel, weil Dr. Angelica als Chirurgin wohl auch eine Frau der Wissenschaft war. Natürlich erwartete ich nicht, dass alle für einen vollkommen künstlichen Körper waren. Aber Beine mit Routenplaner, das musste doch jeden überzeugen.
»Letzte Nacht sind Sie schreiend aufgewacht, weil Sie nicht ohne Ihre Prothesen schlafen konnten. Das ist keine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung.«
Meine Beine machten einen Schritt nach vorn. Dr. Angelica riss die Augen auf, und ich auch, weil ich das eigentlich nicht beabsichtigt hatte. Ich hatte nur überlegt, wie ich an die Spritze kommen konnte.
»Mein biologischer Anteil hat Probleme mit der Anpassung«, bemerkte ich. »Aber das ist noch lange kein Argument gegen die Technologie.«
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