Maschinenmann: Roman (German Edition)
Moment fingen sie alle an zu jaulen. Scharrende Pfoten flitzten durch den Korridor. Lautes Bellen. Diese nutzlosen Fellsäcke. »Okay, konzentrier dich auf sie.«
»Es ist ein Bombe. O Gott. Sie haben mir eine Bombe eingesetzt.«
»Vielleicht.« Ich bemerkte, dass Lola ganz blass wurde. »Nein, das wäre nicht kosteneffektiv.«
»Was?«
Ich musste die Stimme erheben, um das allgemeine Gekläffe zu übertönen. »Wenn man jemanden in die Luft jagen will, ist dann ein mühsamer chirurgischer Eingriff wirklich die beste Methode …«
»Es bebt!« Lolas Zähne klapperten.
Plötzlich bemerkte ich einen Ton: ein hohes Pfeifen, das ich kaum wahrnahm. Das war die Erklärung für die tobenden Hunde.
»Charlie … ich glaube … du solltest … weglaufen.«
»Wir müssen bloß deine Herzfrequenz senken. Versuch einfach, dich in einen ruhigen Zustand zu versetzen.«
»Ich kann nicht!«
»Doch, du kannst es, Lola. Dein Körper gehorcht dir.«
»Lauf weg, Charlie!«
Das Pfeifen wurde so laut, dass man fast nichts anderes mehr hörte. »Ich lauf nicht weg. Wir haben es hier mit einem technischen Problem zu tun. Und das lässt sich lösen. Zusammen …« Mein Satz war eigentlich noch nicht zu Ende. Ich wollte ihr erklären, dass wir beide rationale Menschen waren und mit unserer Logik Berge versetzen konnten. Damit wollte ich Lola entweder besänftigen oder langweilen, um so oder so ihren Herzschlag zu drosseln. Die Idee finde ich noch immer gut. Aber bevor ich weiterreden konnte, explodierte Lola.
Etwas wie eine heftige Windbö aus Nadeln fuhr durch mich hindurch. Meine Beine zuckten. In meinen Ohren klirrte es.
Dann wurde es still im Haus. Ich schaute Lola an und sie mich. Wir schienen beide unversehrt. Gleichzeitig mit mir sagte Lola: »Bist du …« Sie machte einen Schritt nach vorn, und nichts Schlimmes passierte. Wir lächelten. Lola sank in meine Arme. »Richtig unheimlich. Was war das?«
»Wahrscheinlich irgendwas, das nicht funktioniert hat.«
»Ich dachte schon, wir sterben gleich.« Sie erschauerte. »Ich dachte, ich bring dich um.«
Ein Moment verstrich. In der Luft hing ein merkwürdiger Geruch. Etwas Beißendes.
Lola blickte auf. »Die Hunde sind auf einmal so still.«
Wir lauschten.
Lola griff nach der Türklinke. Ich wollte ihr ausweichen, tat es aber nicht. Ich probierte es erneut.
»Charlie?«
Plötzlich kam mir der Geruch vertraut vor. So was entstand, wenn man einen Schaltkreis an eine nicht dafür geeignete Stromquelle anschloss. Der Geruch durchgebrannter Transistoren.
Der digitale Radiowecker auf dem Nachttisch leuchtete nicht mehr. Auch die rote Stand-by-Anzeige der kleinen Stereoanlage im Regal war erloschen.
»Alles in Ordnung bei euch?« Angelicas Stimme wehte zu uns herein. »Der Strom ist ausgefallen!«
»Nein«, murmelte ich. »Nein, nein, nein.«
Lola berührte mich am Arm. »Was ist?«
Ich öffnete den Mund und schloss ihn wieder.
»Bist du verletzt?«
»Ja. Ja.«
»Wo?«
»Meine Beine.«
»Deine …«
»EMP. Elektromagnetischer Puls.«
»Was heißt das?«
»Du hast meine Beine umgebracht«, sagte ich.
Es gibt fünf Stadien der Trauer. Zuerst das Nichtwahrhabenwollen. Zum Beispiel: Meine Beine können nicht tot sein. Es kann nicht sein. Dann der Zorn: Du hast meine Beine umgebracht, hau ab, fass mich bloß nicht an. In dieser Phase wird gebrüllt und getobt. Es kommt zu ungerechten Vorwürfen, Tränen, Kränkungen.
Dann das Verhandeln. Schon etwas ruhiger. Hoffentlich ist der Akku heil geblieben. Wenigstens der Akku soll noch funktionieren. Viertens die Depression. Sie sind tot, ich bin tot. Eine Art Sichsuhlen. Stillstand. Die letzte Phase ist die Akzeptanz. Dazu führe ich hier kein Beispiel an, weil ich bis dahin noch einen weiten, weiten Weg vor mir hatte.
Am vierten Tag trat Lola in mein Zimmer. Davor hatte sie mir nur ein Tablett mit Essen vor die Schwelle gestellt. Ich lernte zu warten, bis ihre Schritte verklungen waren, mich zur Tür zu schleppen und das Essen hereinzuziehen, bevor die Hunde zuschlagen konnten.
Doch an diesem Tag öffnete sie die Tür. Ihre Bluse war grün und ihre Miene erfüllt von stillem Leid. Ich saß auf dem Teppich, umgeben von meinen Körperteilen. Ich hatte sie zerlegt und die Stücke in konzentrischen Kreisen angeordnet. Es sah aus, als hätte ich die ordentlichste Explosion der Welt erlitten. Und so war es ja auch. Was aus Lola herausgekommen war, hatte niemanden getötet, nirgends eine Störung ausgelöst – nur meinen
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