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Masken der Begierde

Masken der Begierde

Titel: Masken der Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivy Paul
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genügen, nicht, solange er überzeugt war, dem Wahnsinn zu verfallen. Nicht, wenn er keinen Grund zum Weiterleben hatte.
    „Warum willst du das tun, Lucas?“
    In seinen Augen glomm Verzweiflung. „Weshalb nicht?“, fragte er.
    „Es gibt keinen Grund für dich, es zu tun“, gab Violet zur Antwort.
    „Für dich ist es unerheblich, dass ich als sabbernder Irrer angekettet werden muss?“ Seine Stimme troff vor Hohn. „Wach auf, Violet. Ich bin bereits tot. Eine wandelnde Leiche. Mein Geist entschwindet in absehbarer Zeit ins Nirgendwo.“
    Violet schüttelte den Kopf und kam näher.
    „Bleib, wo du bist, oder ich springe in die Tiefe!“, drohte er. Er machte Anstalten sich abzuwenden.
    Violet stolperte rückwärts. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie hob abwehrend ihre Hand. „Tu es nicht, bitte. Du musst das nicht tun!“
    Zorn loderte in seinem Blick auf. „Muss ich nicht?“, schrie Lucas außer sich. Er riss an seinem Hemd, sodass die Knöpfe absprangen, und am Hals, dort, wo der Kragen angenäht worden war, platzte die Naht.
    Violets Hand flog entsetzt an ihren Mund. Sie unterdrückte einen Aufschrei. Lucas’ Brust, seine bis dahin makellose Haut, war ein Netz roter Striemen und schorfiger Linien. Lucas zitterte kaum merklich.
    Violet wagte sich näher an ihn heran. Furcht glomm in seinen Augen, und Violet verspürte den unwiderstehlichen Drang, ihn in die Arme zu nehmen und zu trösten. Ihm zu sagen, dass alles in Ordnung käme, dass seine Angst unbegründet war.
    „Bleib, wo du bist, Violet“, krächzte Lucas. „Ich muss das tun, verstehst du nicht?“ Um Vergebung heischend starrte er sie an, und sie schüttelte den Kopf.
    „Musst du nicht, es war ein Irrtum, Lucas. Ein riesiger Irrtum. Die St. Clares leiden unter Lady Edwinas Erbe, das stimmt. Doch sie leiden nicht am Wahnsinn, sondern am Zweiten Gesicht!“
    Reglos musterte er sie.
    Violet bewegte sich auf ihn zu. „Verstehst du? Bethany, Allegra, du, ihr seid nicht verrückt oder krank. Ihr habt eine Gabe wie sonst kaum jemand.“
    „Ob Wahnsinn oder Hexenkräfte, wir sind verflucht“, entgegnete er. Verwirrung zeichnete sich auf seiner Miene ab.
    „Es ist eine Gabe“, beharrte Violet. „Kein Wahnsinn, keine Krankheit. Ihr könnt lernen, sie zu beherrschen!“
    Lucas zögerte, und Violet ergriff seine Hand, packte sie fest, bereit, eher mit ihm in die Tiefe zu stürzen als loszulassen. „Bitte, spring nicht. Ich brauche dich. Wir brauchen dich. Wir müssen Allegra finden. Neil hat dich angelogen. Ich habe mit Lady Pikton gesprochen. Allegra ist nicht bei ihr, denn Neil hat sie nie dorthin gebracht!“
    „Sie ist nicht bei Lady Pikton und deren Nichte untergebracht?“, murmelte Lucas fragend, offensichtlich noch damit beschäftigt, Violets Worte zu begreifen.
    Sie nutzte seine Verwirrung und führte ihn vom Rand fort.
    „Er hat dich belogen. Sie ist nicht bei Lady Pikton“, bestätigte Violet.
    Lucas’ Aufmerksamkeit war ihr nun gewiss. Violet wusste, dass er für Allegra alles tun würde.
    „ Neil lügt?“, wiederholte er fassungslos und mit flackerndem Blick.
    Erleichtert, zu ihm vorgedrungen zu sein, verneinte sie. „Ich weiß es“, erklärte sie und leitete Lucas noch weiter vom Rand des Abgrunds fort. „Ich traf Lady Pikton und Leandra in Kenwick.“
    Leben kehrte in Lucas zurück. „Ich reite sofort zu Neil. Er muss mir Rede und Antwort stehen.“
    Froh, ihn von seinem selbstzerstörerischen Vorhaben abgebracht zu haben, folgte Violet ihm die Treppen hinunter, nachdem sie seine Jacke im Vorbeigehen an sich genommen hatte. Sie gingen zu den Pferden.
    „Du reitest zurück nach Halcyon Manor“, bestimmte Lucas.
    „Den Teufel werde ich tun. Allegra geht mich genauso viel an wie dich“, widersprach Violet.
    Ein eigentümlicher Ausdruck glitt über Lucas’ Miene. Violet vermochte ihn nicht zu deuten, auch weil er sich sofort abwandte und in den Sattel seines Hengstes stieg.
    „Tu, was du nicht lassen kannst“, brummte er. Doch als Lucas merkte, dass Violet keine geübte Reiterin war, verzichtete er auf einen allzu scharfen Galopp, und sie erreichten St. Clare House trotzdem recht zügig.
    Als sie die Auffahrt hinaufritten, ließ Lucas sein Pferd in Schritt fallen.
    „Was ist nur geschehen?“, murmelte er verwirrt.
    Man sah dem Gutshaus an, dass es einst ein wohlhabendes Anwesen gewesen sein musste. Doch nun war eine Reihe von Fensterscheiben blind vor Schmutz. Einige Schieferziegel hingen lose am Dach oder

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