Masken der Begierde
Weg hinaus zu Allegra. In der Hand hielt sie einen Roman von Daniel Defoe, den sie und Allegra lesen wollten.
Jeremy stand mit einem Herrn in der Halle und reichte diesem gerade Hut und Handschuhe.
„Mr. Gosling, was für eine Überraschung!“ Violet steuerte auf den Juristen zu.
„Miss Delacroix, welch eine Freude, Euch zu begegnen!“ Er strahlte über sein Vollmondgesicht, zog den Bauch ein und streckte die Brust vor, ehe er sich verneigte und Violet einen Handkuss gab.
„Was führt Euch nach Halcyon Manor, Mr. Gosling?“, erkundigte sich Violet neugierig.
Mr. Gosling spielte mit den Handschuhen in seinen Händen. „Geschäfte, schnöde Geschäfte“, erklärte er. „Lord Pembroke benötigte meine Dienste.“
Violet nickte und knickste. „Mr. Gosling, es hat mich gefreut.“
Der Mann blinzelnd. „Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite, Miss Delacroix.“
Die Tür zum Arbeitszimmer öffnete sich. Lucas steckte seinen Kopf heraus. Er sah zu Jeremy und Gosling, ehe sein Blick auf Violet fiel. Sofort schlug Violets Herz wie wild. Schmetterlingsflügel kitzelten die Innenseite ihres Bauches.
„Miss Delacroix, das trifft sich gut, kommt bitte zu mir herein. Wir müssen etwas besprechen.“
Da sie Angst hatte, ihre Stimme würde versagen, beschränkte sie sich auf eine Kopfbewegung. Lucas schob die Tür weiter auf und verabschiedete Mr. Gosling noch einmal.
Violet trat ein, und die Tür fiel leise hinter ihr ins Schloss. Im nächsten Moment berührte Lucas’ Hand die ihre. Violet schluckte. Sein Daumen streichelte ihren Handrücken, nichts war je intimer gewesen als diese zarte Liebkosung. Lucas’ Blick glitt über ihren Körper und blieb an ihren Lippen hängen. In Violets Bauch kribbelte es, als wäre ein Ameisenvolk in Aufruhr. Hitze kletterte ihre Wirbelsäule entlang.
Lucas zog sie an sich. Sein Mund schwebte nur Millimeter über ihrem. „Ich sollte das nicht tun“, flüsterte er.
„Warum tust du es dann?“, fragte Violet atemlos.
„Weil ich fürchte zu sterben, wenn ich es nicht tue“, entgegnete er und küsste sie mit leidenschaftlicher Inbrunst.
Violet erwiderte seine Umarmung, sank ihm entgegen und seufzte leise. Lucas’ muskulöser Körper umfing sie. Sie genoss das Gefühl von Schutz und Stärke, das er ausstrahlte. Fast bedauernd ließ sie zu, dass Lucas seine Umarmung löste. Außer Atem und mit weichen Knien musterte sie ihn. Der gehetzte und verlorene Ausdruck in seinen Augen war neu. Sie fühlte, dass etwas geschehen sein musste, das ihn zutiefst beunruhigte.
Sie ergriff seine Hand. „Kann ich etwas für dich tun?“
Lucas deutete auf den Stuhl vor dem Schreibtisch und wartete, bis sie Platz genommen hatte. Er nahm ein großes Kuvert und reichte es ihr.
Verwirrt nahm sie den steifen Bogen an sich. Ihr Herz klopfte furchtsam. Wollte er sie etwa entlassen? Sie wendete das Kuvert und ertastete etwas, das sprödes Pergament oder mehrere Lagen Papier sein konnte.
„Was ist das?“ Sie versuchte, sich ihre Verwirrung nicht anmerken zu lassen.
Lucas lehnte sich neben ihr an die Tischplatte. „Allegras Zukunft“, erklärte er. „Ich vertraue dir Allegras Erbe an. Wenn mir etwas zustoßen oder ich nicht mehr in der Lage sein sollte, mich um sie zu kümmern, will ich, dass du mit Allegra Halcyon Manor verlässt.“
In Violets Magen breitete sich ein flaues Gefühl aus. Sie hob den Umschlag. „Was ist da drin?“
Lucas schüttelte den Kopf. „Alles, was Allegra ein Leben mit allen Annehmlichkeiten ermöglichen wird. Wenn es nötig werden sollte, wirst du mit diesen Unterlagen zu Mr. Gosling gehen. Er kümmert sich um alles Weitere.“
Violet spürte, dass er nicht mehr sagen würde, doch sie musste ihrer Sorge Ausdruck verleihen. Sie konnte und wollte es nicht auf sich beruhen lassen. „Lucas, gibt es irgendwelche Probleme? Kann ich dir irgendwie helfen?“
Er verneinte. Violet erhob sich. Sie musterte sein Gesicht, und er nahm ihres in seine Hände und küsste sie zärtlich. „Nur zur Sicherheit. Ich weiß, dass du Allegra treu zur Seite stehen wirst.“ Er schob sie Richtung Tür.
„Lass Allegra nicht länger warten.“
Verwirrt stand Violet in der Halle und starrte auf das Kuvert in ihrer Hand. Sie drehte das flache Paket unschlüssig herum, ehe sie sich einen Ruck gab.
Auf ihrem Zimmer versteckte sie die Papiere in dem Geheimfach bei Bethanys Notizbuch. Sie konnte sich des Verdachts nicht erwehren, dass Bethany und ihr Büchlein der Schlüssel zu
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