Masken der Lust (German Edition)
Jahrhunderte – alle Bürger der Serenissima. Die Dogen, Kurtisanen, Musiker, Gondolieri, die Adligen und die Frauen und das gemeine Volk. Hat man einmal in Venedig gelebt, ist es schwer, davon loszukommen.»
Bruchstücke ihres Traums fielen ihr ein. Sie stützte sich auf einen Ellbogen und schenkte ihm einen ratlosen Blick. «Ich sehe keine. Sollte ich mich fürchten?»
Er küsste sie auf die Nase. «Nur wenn du an solche Sachen glaubst. Die Furcht übt in der Tat einen Zauber aus. Aber ich sollte dich nicht triezen.» Er lächelte sie zärtlich an. «Du bist zu jung.»
«Das bin ich vielleicht.» Sie setzte sich ganz auf. «Hört es sich zu unreif an, wenn ich immer noch nicht ausgehen will? Will ich nämlich nicht.» Sie fühlte, wie sie wehmütiger Stimmung wurde, ihre übliche post-koitale Verfassung. Leicht heilbar durch Naschwerk – das er bereitgestellt hatte. Vielleicht hatte sie noch nicht genug von der Schokolade gegessen. Oder es lag daran, dass sie in Venedig war. Die Stadt übte einen sehr wirklichen Zauber aus, wenn man von den Touristenhorden loskam. Das quecksilberfarbene Licht, der veränderliche Himmel und die wie schwimmend wirkenden Gebäude am Wasser, vor allem die Palazzi … und sie hatte das Glück, sich in einem von ihnen einen Nachmittag lang mit einem Liebhaber zu verstecken.
«Dann bleiben wir zu Hause und sind froh.» Er kehrte dem Fenster den Rücken zu, nicht aber ihr. «Ich werde dir zuliebe hungern.» Das klang anklagend.
Sarah legte die Arme um ihn und blickte in seine schwermütigen Augen. «Traurig? Ich auch. Nur ein wenig. Ich weiß gar nicht, warum.» Sie rieb ihre Wange an seiner und küsste ihn aufs Ohr, etwas ungeschickt, weil er sich gerade bewegte. Er schien sich nicht dran zu stören und umarmte sie einfach zurück, umschmiegte sie mit seinem großgewachsenen Körper und rieb ihr mit beiden Händen über den Rücken. Was immer an anfänglicher Unbeholfenheit zwischen ihnen gewesen sein mochte – und groß war sie nicht gewesen –, war in eine aufwühlende Innigkeit umgeschlagen. Er machte die Liebe mit ihr, als sei es ihm ernst damit. Oh, oh, oh. Es würde ihr schwerfallen, sich von solcher Herzlichkeit zu trennen.
Sarah schloss die Lider und fühlte jäh, wie ihr Tränen aufstiegen. Sie blinzelte sie fort, rieb sich wieder die Augen und sah zufällig über seine Schulter auf das Fenster hinter ihm. Ihr Blick weitete sich.
«Marco! Sieh doch!»
Von ihrem Ausruf aufgeschreckt, drehte er sich um, behielt sie im Arm, war aber nun dem Fenster zugewandt. Er sah, was sie sah: schemenhafte Gestalten, körperlos, doch mit ausdrucksvollen Gesichtern und Gesten, gefangen in den Nebelstrudeln, in den Kleidern und Kostümen des alten Venedig. Dann verblasste die Erscheinung, und der Nebel war leer und grau wie zuvor.
«Lass das Rollo runter!» Beinahe schrie sie die Worte heraus.
Er tat es rasch, auf dem Bett kniend. Sie drückte sich ein Kissen vor die Brust, als könnte es sie vor den Gespenstern im Fenster beschützen.
«Habe ich das wirklich gesehen?», flüsterte sie. «Wer sind – wer waren – die?»
«Ich weiß es nicht.»
Zweites Kapitel
«Du bist ein Zauberer», sagte sie und versuchte, das Beben in ihrer Stimme zu beherrschen. Sie hatten einen Schwips von dem Prosecco, das stimmte. Doch sie wollte sich jetzt nicht von ihm umarmen lassen. Das schien ihn zu bekümmern, aber sie bestand auf einer Erklärung. Vielleicht war sie angetrunken, aber gesehen hatte sie etwas.
«Kein Mensch besitzt solche Kräfte, Sarah», entgegnete er nach einer Weile. «Ich tu’s nicht, da kannst du sicher sein.»
«Aber hast du nicht gesagt, du hättest den Nebel heraufbeschworen?» Sie wollte nicht diese Leute sagen.
«Damit habe ich dich aufgezogen. Ich wollte, ich könnte es dir erklären, aber das kann ich nicht. Der Zauberspruch, den ich dir im Café vorlas, lässt sich nahezu unmöglich auf Englisch wiedergeben.»
«Lass ihn in jeder Sprache ungesagt, besten Dank. Er scheint sehr wirkungsvoll zu sein.»
Er warf einen Blick zum Fenster und sah sie dann wieder an, ohne zu antworten. Seine Lippen waren zu einem schmalen Strich aufeinandergepresst.
«Wo hast du das Buch überhaupt her?»
«Ich habe es in einem Antiquariat gefunden, wie schon gesagt, und für ein paar Euro gekauft.»
«Richtig. Wollte das nur überprüfen. Es ist also kein Familienerbstück oder so.»
«Nicht ganz.» Er lächelte schwach.
«Wie meinst du das? Ich mag keine unklaren
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