Masken der Lust (German Edition)
bewegen zu können. Er konnte gar nicht anders, wenn er so stolz auf seine Vernunft war. Sarah beruhigte sich. Nebel war Nebel. Sie hatten nicht gut geschlafen nach dem wilden Liebesspiel und soeben eine Flasche Prosecco in weniger als drei Minuten geleert. Sie waren müde und beschwipst genug, um sich etwas einzubilden.
«Dann … zieh das Rollo hoch.»
Er langte hinüber und griff nach der Schnur. «Bist du sicher, dass ich soll?»
Sie nickte. Er legte Wert darauf, es langsam hochzuziehen. Zentimeter für Zentimeter wurde das Fenster enthüllt. Draußen war nichts als Nebel. Die Alltagsgeräusche von Venedig – die Motoren der Vaporetti und harschen Rufe der Bootsführer – drangen von fern gedämpft herauf. Die einzigen anderen Laute waren das leise Klatschen von Wasser an Stein und Schritte auf der Treppe des Hauses auf der gegenüberliegenden Kanalseite. Gewöhnliche, müde, schwere Schritte zum Ende eines Tages. Nicht die Sorte, die in der Luft schwebte und die sie sich beschwingter vorstellte.
«Da, ich hatte recht», sagte er befriedigt.
Sie war erleichtert, blieb aber nachdenklich. Er gab ihr Zeit.
«Wer ist denn nun der Autor dieses Buches, Marco? Du hast es nie gesagt.»
Marcos Miene verhehlte nicht, wie unbehaglich ihm das Thema war. Sie harrte aus und sah ihn erwartungsvoll an.
Marco seufzte. «Ein Alchemist und Magier, der vor Jahrhunderten gelebt hat. Außerdem ein Zauberkünstler – nicht die Art, die du vom Jahrmarkt kennst, sondern ein gebildeter und scharfsinniger Mann. Ich habe seine Geschichte erforscht. Keiner hat je erfahren, ob sein Zauber Schwindel oder echt war.»
«Bist du nicht in derselben Branche?»
Marco hob die Hände und schaute empor, als wollte er, dass ein Himmelswesen die offensichtliche Erklärung beisteuerte. «Nein. Ich beschäftige mich mit Bühnenkunst und Illusion in sehr großem Maßstab. Die Leute wollen glauben, was sie sehen.»
«Hm.» Sicherlich hatte sie glauben wollen, dass die beiden Engel auf der Party fliegen könnten. Auf ihre verliebte Art hatten sie es auch getan.
«Kann ich jetzt auf meinen Ahn zurückkommen?»
«Sehr gern.»
«Er schrieb seine Zaubersprüche auf, und irgendwann veröffentlichte sie jemand in diesem Buch.» Er brach ab, schenkte ihr einen besorgten Blick und holte dann tief Luft. «Er war mein Vetter sieben-mal-siebenten Grades.»
«Klingt bedeutsam. Wenn man an derlei glaubt.» Sie starrte ihn an. Sieben-mal-sieben. Das machte sie neugierig. «Und du hast zufällig gerade dieses Buch gefunden? Und brauchst die Sprüche nur aufzusagen, und sie wirken?»
«Ich will gar nicht, dass sie es tun.» Darüber dachte er kurz nach. «Außer es betrifft dich.»
«Oh. Also hast du doch gezaubert.»
«Wir drehen uns im Kreis.» Er lachte etwas nervös auf. «Nein. Was zwischen uns passiert ist – anfangs war das einfach sexuelle Chemie. Kein Zauber. Kein bisschen.»
«Erkläre mal den Unterschied.»
Marco wedelte lässig mit der Hand. «Als ich dich tanzen sah, war das ein bezaubernder Augenblick. Dann sahen wir einander in die Augen. Auch das war bezaubernd – aber das passiert jeden Tag Millionen von Leuten.»
«Ja, natürlich. Aber hast du einfach sexuelle Chemie gesagt?» Sie starrte ihn entrüstet an. «Schön artig bleiben. Das ist die geheime Zutat zu einem fabelhaften Abenteuer.»
Er warf ihr einen weiteren nachdenklichen Blick zu. «Mehr ist das hier nicht?»
Ach, deshalb schlich er wie die Katze um den heißen Brei. Er schien andeuten zu wollen, dass er sich womöglich gerade in sie verliebte. Oder trat hier ihr Inneres Mädchen auf den Plan und verwandelte diese Begegnung in mehr, als sie war?
Das Innere Mädchen war eine hoffnungslose Romantikerin, so viel stand fest. Aber Marco war auch furchtbar schwer zu widerstehen. Der gewitzt-sexy-zärtlich-leicht-verwirrte Ansatz war weitaus wirkungsvoller als bloße Zauberei. Jedoch hatte sie mit rasch verliebten Männern die Erfahrung gemacht, dass sie sich noch rascher entliebten.
«Wie schon gesagt, mir bleiben noch vier Tage.» Und dann würde sie nach Brooklyn zurückkehren, eine neue Stelle finden, sich mit einem anderen verabreden müssen … Zum Gähnen. Zum sperrangelweit Gähnen. Aber es tat seinen Dienst, um eine Grenze zu ziehen. Sie konnte ihm ja nicht einfach in den Schoß fallen und in Venedig bleiben, ob mit oder ohne Gespenstern.
«Bitte geh nicht.»
Die Bewegtheit seiner Stimme verblüffte sie. Verrückt war er nicht, soweit sie es absehen konnte.
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