Masken - Unter magischer Herrschaft: Roman (German Edition)
mit ihr, denn der Wunsch, mehr über die Entstehung und den Zweck der Konvention zu erfahren, erschien ihr stärker als je zuvor. Fragen über Fragen belagerten ihren Kopf: nach ihrer Herkunft, ihrem Volk, nach der Vergangenheit und der Zukunft. Hatte sie diese bisher unterdrücken können, so drängten sie jetzt auf ihre Lippen, wollten unbedingt ausgesprochen und auf jeden Fall beantwortet werden.
»Aber so ist es nicht«, sagte sie verzweifelt.
»Ich weiß. Doch du musst dich beherrschen. Niemand kann deine Fragen beantworten. Im Gegenteil, damit machst du sie aufmerksam und dann … Ich darf gar nicht daran denken.«
»Sie?«
»Die Merdhuger, die Garde. Du bringst dich in Gefahr. Uns alle.«
Ferin verstand immer noch nicht, was er damit meinte. Was konnte die Garde ihr anhaben? Sie hatte nichts Unrechtes getan. Jäh schoss ihr die Szene vom Vortag durch den Kopf – die kleine Pheytana, Jasta. Ferin wusste nicht, was mit ihr passiert war, denn sie hatte den Spiegelsaal kurz darauf verlassen. Ein mulmiges Gefühl machte sich in ihrem Magen breit.
»Welche Gefahr denn?«, fragte sie tonlos.
»Man hört so einiges.« Najid machte eine unmissverständliche Geste in die Richtung, in der die Kaserne der Garde lag. »Wer sich widersetzt …« Er überließ es Ferins Phantasie, sich die Folgen in düsteren Bildern auszumalen. Es gab Kerker in der Kaserne. Verbrecher saßen dort ihre Strafe ab, und manchmal wurde sogar jemand hingerichtet.
»Ich widersetze mich doch nicht.«
»Nein, nein, und ich wollte dir auch keine Angst einjagen. Wichtig ist nur eines: Du darfst niemandem verraten, dass die Maske bei dir nicht so wirkt, wie sie sollte. Du musst dein Glück zeigen. Tu zumindest so, als ob alles in Ordnung wäre.«
»Ich bin glücklich über die Maske. Ich habe so lange gewartet. Ich habe … ich war so allein …« Ihre Stimme brach, Tränen traten in ihre Augen.
»Ja, mein Kind. Ich weiß doch …« Zögerlich legte Najid die Hand auf ihre Schulter.
Seine unbeholfene Berührung, die Wärme seiner Hand, seine Nähe entfachten in Ferin die Sehnsucht nach mehr. Mehr Geborgenheit, mehr Zuwendung, mehr Liebe. All das, was ihr in den letzten Jahren versagt geblieben war. Was sie sich selbst versagt hatte.
Doch ihr Vater ließ die Hand wieder sinken. »Versprich mir, dass du diese Gedanken und deine Fragen fortan für dich behältst.«
»Aber …«
»Versprich es mir! Bitte! Tu es für dich, für deine Zukunft.«
Ferin trocknete mit dem Handrücken die Tränen und nickte, obwohl das Feuer in ihrem Herzen brannte wie nie zuvor. Sie traute sich zu, es niederzuzwingen. Und die Glut würde sie schon unter Kontrolle halten können.
»Gut«, sagte Najid erleichtert. »Du wirst ein schönes Leben haben. Glaub mir, du brauchst das alles nicht zu wissen.«
»Weißt du es denn?«, platzte es aus Ferin heraus. Da war es wieder, das Flüstern: Er muss es wissen, er muss … Wie sonst konnte er ihr davon erzählen? Wie, wenn er doch all das vergessen haben sollte?
»Ferin!«
»Diese eine letzte Frage. Bitte!« Flehend sah sie ihn an. »Weißt du es?«
Der Vater senkte den Blick. »Nein, und es ist besser so.«
Ferin schluckte hart. Das Flüstern war verweht. Sie spürte ihm nach, fand nichts als ein Echo von etwas, was sie nicht begreifen konnte. Sie brauchte die Wahrheit nicht zu wissen. Und es war besser so.
Der Tag verging elendiglich langsam. Im Pjandar waren die kiesigen Wege bevölkert wie selten zuvor. Das Knirschen der Schritte begleitete das Gemurmel von zahllosen Gesprächen, so dass Ferin das Gefühl hatte, inmitten eines Insektenschwarms gefangen zu sein.
Hocherfreut über ihr schnelles Auftauchen hatte die Mutter nichts Besseres zu tun, als Ferin und Najid von einer wichtigen Person zur nächsten zu schleppen und ihre »charmante und bildhübsche zweitgeborene Tochter«, wie sie nicht müde wurde zu betonen, in die Gesellschaft einzuführen. Der Vater stand geduldig daneben, er kannte das Prozedere und wusste, dass es nicht viel Sinn machte, sich dagegen zu wehren. Ferin grüßte, nickte und lächelte, sie behielt nicht eines der Gesichter im Gedächtnis.
Welch ein Gewimmel! Tiefschwarze Haare der Merdhuger, wohin das Auge reichte, ebenmäßige Haut, dunkle, mandelförmige Augen, hohe Wangenknochen, rote Lippen – Schönheit in ihrer reinsten und natürlichsten Form. Darunter die Köpfe der maskierten Pheytaner, ein schimmerndes Farbenspiel im Sonnenlicht, bald rötlich, bald goldbraun,
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