Masken - Unter magischer Herrschaft: Roman (German Edition)
Gerede zog schmerzhaft durch Ferins Kopf, sie war diesen Austausch von Belanglosigkeiten bereits leid.
Sie sah sich um und bemerkte den forschenden Blick des Vaters. Befürchtete er, dass ihr wieder ein falsches Wort oder eine unpassende Frage entschlüpfte? Sachte schüttelte sie den Kopf. Seine Sorge war unbegründet, sie hatte sich im Griff.
Die Meute der Schaulustigen hatte sich aufgelöst und im Pjandar verteilt, das Stimmengewirr schwoll zusehends an. Die Königin in ihrer Laube glich mehr denn je einer Statue, kein bisschen Leben erhellte ihr Gesicht. Auf dem Podium staksten die Tänzerinnen wie Marionetten umher. Sie bemühten sich redlich, ihren Tanz an die Musik anzugleichen, doch der Lautenspieler war ihnen stets eine Kleinigkeit voraus.
Ferin lockerte die Schultern, verlagerte ihr Gewicht von einem Bein auf das andere. Ihr Nacken und ihr Rücken schmerzten, die Muskulatur dort war so lange Einsätze nicht gewohnt. Sie war müde, musste sich konzentrieren, geradeaus zu blicken, sonst sackte ihr Kopf einfach nach unten, ganz so, wie sie es ihm all die Jahre verordnet hatte.
Najids Blick traf ihren. Die Wachsamkeit, mit der er sie beobachtete, verunsicherte sie, und sie überlegte erneut, welcher Art von Gefahr sie alle ausgesetzt sein könnten, wenn sie etwas sagte, das sie aufmerksam machte.
»Bitte«, murmelte sie, »ich möchte gehen.«
Estella schaute sie erstaunt an. »Jetzt?«
»Mhm«, war alles, was Ferin hervorbrachte. Wie am Vortag kämpfte sie gegen die jäh einsetzende Erschöpfung. Sie hatte kaum mehr die Kraft, sich auf den Beinen zu halten.
»Also schön, du hast recht. Wir wollten ja noch zum Schneider«, stimmte ihre Mutter zu.
»Nein, nicht zum Schneider.« Ferin schwankte. Ich muss mich hinlegen. Nur kurz. »Ich möchte nach Hause, mir ist schwindlig.«
»Sie ist ganz blass«, meinte Najid. »Ich bringe sie heim.«
»Vielleicht die Hitze«, mutmaßte Estella. »Das Kind ist ja nie aus dem Haus gekommen in den letzten …« Sie sparte sich den Rest.
Ferin nickte. Ja, die Hitze. Das musste der Grund für ihre Schwäche sein. Dankbar folgte sie dem Vater. Sie bahnten sich ihren Weg zum Ausgang, vorbei an gleichen Gesichtern und Gestalten, vorbei an gleichen Gesprächen. An gleichen Gedanken. Mit einem Mal konnte Ferin keine Unterschiede mehr wahrnehmen, sie watete durch ein Meer an Oberflächlichkeit, seicht und glatt. Nichtssagend.
Schweigend gingen sie nebeneinander den Berg hinauf. Nur einmal streifte Najid wie zufällig ihre Hand. »Geht es?«
Es ging. Irgendwie. Doch als sie beim Haus ankamen, war Ferin dem Zusammenbruch nahe. Längst hatte sie aufgehört zu denken, hatte nur noch einen Fuß vor den anderen gesetzt. Die Holztreppe zu ihrer Kammer war steiler und länger als sonst, jede Stufe kostete Überwindung. Die Tür knarrte, das Bett krachte. Dann hieß sie die Dunkelheit willkommen.
4 Zerstört
E in Kribbeln wanderte durch Ferins Körper und versetzte sie in Unruhe. Sie hatte geschlafen wie ein Stein, war nicht einmal aufgewacht, seit … Seit? Sie wusste es nicht. Tage hätten vergangen sein können. Nur langsam kehrte ihr Zeitgefühl zurück. Es war der zweite Morgen nach der Maskierung. Würde heute endlich alles vergessen sein?
Sie stieg aus dem Bett und schlich die Treppe hinunter, bedacht darauf, ihre Eltern und Hanneí nicht zu wecken. In der offenen Haustür blieb sie stehen und sog die frische Luft ein.
Die Stille des Hauses setzte sich im Freien fort, tönte aus jedem Winkel des Hofes, lugte aus den offenen Türen der Werkstatt, strömte von der Straße her über die Mauer. Eine weiche, angenehme Melodie, die den Ohren schmeichelte. Nicht mehr lange, und sie würde den Geräuschen des Tages weichen.
Ferin lauschte. Ihrem Herzschlag, ihrem Atem. Ihrem Leben. Plötzlich war etwas da, das die Stille überlagerte. Das Kribbeln war zu einem drängenden Pochen angeschwollen – Lebendigkeit. Sie erreichte ihr Herz, hämmerte in ihrem Kopf, besiegte die unbestimmten Zweifel. Frei, sagte sie sich. Du bist doch frei. Alles andere wird kommen.
Das Bedürfnis, diese Freiheit am ganzen Körper zu spüren, brandete durch ihr Innerstes. Ihre Beine setzten sich wie von selbst in Bewegung, sie stieß das Hoftor auf und begann zu laufen.
Ferin achtete nicht darauf, wohin sie ihre Schritte lenkte. Sie flog förmlich durch die Straßen, genoss den Wind auf ihrem Gesicht, blinzelte gegen die ersten Sonnenstrahlen, die sich hinter den östlichen Ausläufern der
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