Masken - Unter magischer Herrschaft: Roman (German Edition)
Teller und Tassen waren im Regal gestapelt. Der gemauerte Herd war beheizt, der Korb daneben mit Feuerholz gefüllt. Auf dem Tisch wartete das Frühstück: eine Schüssel voll dampfendem Brei und eine Kanne Tee. Das gewohnte Bild – nur sie fiel aus dem Rahmen.
Hanneí kam die Treppe herunter. »Oh«, sagte sie bei Ferins Anblick spitz und hockte sich auf die unterste Stufe. In ihren Augen lag ein eigenartiger Ausdruck, eine Mischung aus Ungläubigkeit, Missfallen und ein wenig Angst.
Estella scheuchte sie wieder auf. »Bring Wasser! Deine Schwester blutet.«
Hanneí verschwand in den Hof, kehrte kurz darauf mit einem Eimer Wasser und in Begleitung des Vaters zurück. Er schloss die Tür.
Estella hievte den Eimer auf den Tisch. Sie schob Ferins Ärmel hoch, tauchte ihren Arm bis zum Ellbogen ins Wasser und wusch das Blut ab.
»Hanneí, gib mir Tücher aus der Truhe«, befahl sie.
»Wozu? Morgen ist es sowieso verheilt.«
»Los, mach schon!«
Hanneí gehorchte widerwillig und warf ein paar saubere Tücher auf den Tisch.
Estella tupfte Ferins Handgelenk ab. Zwei Schnitte, doch kein Blut mehr. »Tut es sehr weh?«
Ferin war zu keiner Antwort fähig. Sie beobachtete die Szene, als wäre sie eine Außenstehende. Da war das besorgte »Was nun?« des Vaters, der breitbeinig vor der Tür Aufstellung genommen hatte, als wollte er sie mit seinem Leben verteidigen. Oder das Achselzucken der Mutter – bedeutungslos. Sie bekam einen Stoffstreifen um das Handgelenk gewickelt, die Enden wurden verknotet, ihr Arm senkte sich ganz von selbst. Ein einziges Wort beherrschte ihre Gedanken: Zerstört.
Estella entfernte das Leinen von ihrem Haar. Strich über die Maske, zerrieb ein Stück Haut zwischen den Fingern. »Warst du das, Ferin?«
Zerstört … Ferin stierte in den Spiegel an der Wand neben der Tür. Ihr Gesicht war leichenblass. Hautfetzen hingen von ihrem Kinn, auf den Wangen falteten sich die Überreste der Maske mit leisem Knistern zu Röllchen zusammen und lösten sich ab. Stirn und Nase waren bereits freigelegt, die Male und der Riss nässten. Graue Schuppen bedeckten den Kragen ihres Kleides, verwandelten sich rasend schnell in eine Staubschicht. Die Maske starb.
Estella packte Ferin an den Oberarmen. »Ferin, ich rede mit dir! Warst du das?«
Ferin gelang ein Kopfschütteln, ihre Schultern übernahmen es, schon durchlief das Beben ihren Körper. Ein einziges gequältes Nein. Mit einem Klagelaut ließ die Mutter von ihr ab, die Eltern wechselten Blicke.
»Sie muss fürs Erste im Haus bleiben«, meinte Estella.
Najid machte eine hilflose Geste. »Es wird auffallen. Alle wissen von ihrer Maskierung.«
»Eine ansteckende Krankheit, die sie ans Bett fesselt. Blattfieber?«
»Wir können sie nicht ewig verstecken.«
»Nein, aber für einige Zeit bestimmt. Wir gehen zum Prinzipal, bitten um eine neuerliche Maskierung. Heimlich. Er hat ein gutes Herz.«
Najid neigte zweifelnd den Kopf.
»Du hast Einfluss«, fuhr Estella fort. »Er schätzt deine Arbeit, er wird deiner Bitte entsprechen. Wenn wir ihn gut entlohnen … Nur die Garde darf es nicht erfahren. Zum Glück hat sie noch niemand gesehen.«
Der letzte Satz ihrer Mutter blieb in Ferins Denken haften. Ruckartig riss sie die Hand hoch, rang um eine Erklärung, doch was sie sagen wollte, schmolz zu einem Krächzen zusammen.
»Was?«, rief Estella. »Was ist? Nun sag schon!«
Najid verstand. »Jemand hat sie gesehen.«
»Warst du vor dem Tor?« Estella verabreichte Ferin eine Ohrfeige, dass es nur so knallte. Staub rieselte in weißen Flocken zu Boden. »Warst du draußen?«
Hitze schoss Ferin in die Wange, sie fand ihre Sprache wieder. »Ja«, hauchte sie.
»Wer? Wer hat dich gesehen?«
»Ein Junge. Ein Pheytaner.«
Estella sackte in sich zusammen, Najid lehnte sich ächzend gegen die Tür. In Ferin regte sich nichts mehr. Kein Muskel, kein Herzschlag, kein Atemzug. Alles in ihr war tot, sie war tot. Trotzdem stand sie aufrecht, irgendetwas trieb ihren Körper weiter an, verhinderte, dass sie an Ort und Stelle zusammenbrach.
»Sie werden kommen«, murmelte Najid. »Schon bald.«
Das Klopfen an der Tür verwandelte den Schatten einer Vorahnung zu einer konkreten Bedrohung. »Aufmachen! Garde!«
Eilig räumte Estella die Tücher und den Eimer unter die Bank. »Ferin, geh nach oben.«
Ferin rührte sich nicht. Ihr Körper wollte ihr nicht gehorchen, doch ihr Verstand nahm seinen Dienst wieder auf. Erstaunlich – mit jedem Klopfen klärte er
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