Masken - Unter magischer Herrschaft: Roman (German Edition)
ihr Vater? Oder oberflächlich und launenhaft wie ihre Schwester? Sie wünschte sich Fröhlichkeit, Geduld und Entschlossenheit für sich. In jedem Fall würde sie selbstbewusst sein. Da war sie sich ziemlich sicher. Bedingte Schönheit nicht automatisch Selbstachtung und innere Stärke?
Noch war sie nichts von alledem. Weder entschlossen noch stark und schon gar nicht selbstbewusst. Hätte sie nur eine dieser Eigenschaften in sich gespürt, vielleicht hätte sie dann die Kraft gehabt, ihr Los mit etwas mehr Würde zu ertragen. So aber …
Endlich hatte die Schülerin eine passende Kutte gefunden. Unaufgefordert riss Ferin die Arme in die Höhe.
Die Merdhugerin lachte, als sie ihr das Gewand über den Kopf streifte. »Keine Sorge, gleich wirst du besser aussehen.«
Es hing wie ein Sack an ihrem Körper, aber es verdeckte ihre Nacktheit. Ferin schloss die Augen, fühlte den rauhen Stoff auf der Haut und die Erleichterung, dass es fast vorbei war. Nur noch das Tuch. Einige Tage musste man es tragen, damit sich die Maske in Ruhe mit dem Gesicht verbinden konnte. Die Schülerin strich ihr das Haar zurück, schlang das weiße Leinen um ihren Kopf und zog es fest.
Die andere Merdhugerin erwartete sie an der Tür. Ihr Gesichtsausdruck war austauschbar, hämisch hatte ausgedient, jetzt war feierlich an der Reihe. Sie hob den Riegel und stieß die Tür nach außen auf. »Bereit?«
Ein Schwall frischer Luft schlug Ferin entgegen, und sie sog sie begierig ein. Es roch nach Freiheit. Sie nickte. Sie war bereit. Vor ihr lag der Weg in ein neues Leben.
Ferin war geübt darin, nicht aufzufallen. Sie atmete flach und leise, hielt den Kopf gesenkt und jede ihrer Bewegungen unter Kontrolle. Die Arme vor den Körper gelegt, umfasste sie mit der rechten Hand ihr linkes Handgelenk, ganz wie es die Konvention gebot. Die Neugier auf den majestätischen Saal brodelte in ihr, und doch unterlief ihr kein Fehler, nicht ein Seitenblick, kein Blinzeln. Vor dem Prinzipal kniete sie nieder.
»Willkommen, Ferin«, begrüßte er sie. Seine Stimme war tief und wohlklingend, ein Lächeln schwang darin mit.
Sie schwieg, noch galt das Redeverbot.
Der Prinzipal erlaubte ihr, aufzustehen und den Kopf zu heben. Er war ein glatzköpfiger Merdhuger mit kantigen Gesichtszügen und einem Kinnbärtchen. Von seinen Schultern fiel eine rote Soutane. Für einen Wimpernschlag begegnete Ferin seinem prüfenden Blick mit Stolz. Rasch rief sie sich zur Vernunft – ihn so anzusehen war nicht nur verboten, sondern gänzlich unangebracht.
Er nickte ihr zu. »Du darfst beginnen.«
»Ich erbitte die Maske«, sprach sie die einleitenden Worte, öffnete ihre Arme und streckte die Hände aus. Sie wusste genau, was zu tun und zu sagen war, ihre Mutter hatte ihr den Ablauf bis ins kleinste Detail geschildert.
»Rein sei dein Körper und offen dein Geist. Bist du willens, das Geschenk der Maskierung anzunehmen?«
»Ja, das bin ich.«
»Rein sei dein Körper und offen dein Geist. Bist du willens, die Maske zu ehren und sie zeit deines Lebens mit Dankbarkeit zu tragen?«
»Ja, das bin ich.«
»Dann sei dir deine Bitte gewährt.«
Ein Ruck ging durch Ferin, ihre Muskeln spannten sich vor Aufregung – der Anfang war geschafft.
Der Prinzipal legte ihr eine Tonschale in die Handflächen. »Möchtest du dein Gesicht noch ein letztes Mal sehen, Ferin?«
Sie schüttelte den Kopf. Nein, das wollte sie nicht. Es war nicht länger ihr Gesicht, gleich würde es für immer verborgen sein.
»Gut. Dann komm.«
Er ging voraus zur Treppe, die im Portal einer mannshohen Mauer beginnend nach unten führte, und sie stiegen die fünf Stufen hinab. Das Maskenbecken war rund, bis zum Rand mit Wasser gefüllt und nahm gut ein Viertel der Bodenfläche des Saals ein. Es musste sehr tief sein, sein Grund war nicht einmal zu erahnen. Das Wasser lag still und dunkel, die glänzende Oberfläche wirkte, als könnte man getrost darüber schreiten, ohne zu versinken.
Die Mauer umarmte das Becken beinahe zur Gänze, wie ein ringförmiger Schutzwall. Nur an der fensterlosen Längsseite des Spiegelsaals schmiegte es sich an die aus riesigen Steinquadern errichtete Außenwand. Genau dort, der Treppe gegenüber, flankierten sechs Säulen eine schmale Rinne, die aus der Wand austrat und schräg abfallend ins Wasser führte – ein schweigendes Empfangskomitee für das Wunder, das jeden Tag seinen Weg in das Becken fand.
In die kniehohe, weiß gemauerte Einfassung war eine Brüstung
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