Masken - Unter magischer Herrschaft: Roman (German Edition)
Ordnung auf, das ihn zufriedenstellte, und so konnten sie sich ganz auf den Unterricht konzentrieren. Ferin hatte das Buch vollständig gelesen, auswendig gelernt und Sobenios abschließende Prüfung mit Bravour gemeistert. Ihr Wissen über Heilpflanzen bilde eine gute Basis für die weitere Ausbildung, hatte er mit einem anerkennenden Lächeln erklärt und angekündigt, sie von nun an in jenen Techniken zu unterweisen, die es ihr ermöglichen würden, Zugang zu ihrer Gabe zu finden.
Den Auftakt machten Atemübungen. Ferin lernte, die Kraft ihres Atems zu nutzen, um sich zu sammeln und zur Ruhe zu kommen sowie negative Energien, die sie unweigerlich in sich aufnehmen würde, wenn sie andere heilte, aus ihrem Körper zu leiten. Diese Reinigung mit Hilfe ihres Atems, so erfuhr sie, würde sie im Anschluss an eine Heilung bitter nötig haben.
Die Schulung ihrer Vorstellungskraft wurde zum zweiten wichtigen Bestandteil der Lektionen. Dem Geist Bilder malen, nannte Sobenio diesen Teil ihrer Ausbildung.
»Damit du dir einen gesunden Körper vorstellen kannst«, sagte er, »musst du sein Aussehen genau kennen. Innen wie außen.«
Zu diesem Zweck vertraute er Ferin ein anderes Buch an, das sich mit der menschlichen Anatomie beschäftigte und das sie mit Begeisterung und in Rekordzeit durchlas. Bald konnte sie alle Körperteile und inneren Organe benennen und hatte deren Aussehen im Kopf abgespeichert.
Mehrmals täglich verlangte der Magier von ihr, sich gedanklich in den Körper zu versenken. Ferin sah in ihrer Vorstellung Herzen schlagen, Atem in Lungen strömen, Magensäfte zusammenlaufen, Samen und Eizelle zu neuem Leben verschmelzen. Sie hörte Knochen brechen und Haut und Muskelfasern reißen. Sie spürte Schmerz und Verzweiflung, schwindende Kräfte und die tiefe Leere des nahenden Todes. Dazu malte sie ihrem Geist die passenden Bilder: Knochen heilten, Wunden schlossen sich, Schmerz verebbte, der Tod wich. Die Übungen fielen ihr leicht, in ihrer Vorstellung bereitete es ihr keinerlei Schwierigkeiten, Krankheiten und Verletzungen zu heilen, während sie in Wirklichkeit noch niemals Hand an jemanden gelegt hatte.
Ferin ließ sich auf alles ein, was Sobenio von ihr forderte, und ihre gemeinsame Arbeit wurde immer intensiver. Sie begaben sich in eine körperliche und geistige Nähe, die sämtliche Barrieren zwischen ihnen aus dem Weg räumte. Ihr uneingeschränktes Vertrauen in ihn und seine Unterrichtsmethoden ließen Sobenio seinen derben Schutzpanzer für kurze Zeit abstreifen, und ein geduldiger und fürsorglicher Lehrer kam zum Vorschein. Er gestand ihr Fehler zu, ermutigte sie, es erneut zu versuchen, und sparte nicht mit Lob.
Doch dann wieder, für Ferin absolut unvorhersehbar, verschwand Sobenios einfühlsame Persönlichkeit, sein zweites Ich entstieg seinem Inneren und übernahm die Kontrolle über ihn. Sobald Ferin sich mit ungehobeltem Benehmen, schroffen Worten und jedem Fehlen von Rücksicht und Anstand konfrontiert sah, fühlte sie sich, als säße sie einem Fremden gegenüber.
Oft fiel es ihr schwer, sich auf die plötzliche Verwandlung seines Charakters einzustellen, und sie wunderte sich, wie es kam, dass er zwei so unterschiedliche Wesenszüge in sich vereinte. Gern hätte sie ihn danach gefragt, doch sie fühlte sich außerstande, die Courage dafür aufzubringen.
»Heute wollen wir uns mit den Energieströmen beschäftigen«, sagte Sobenio eines Morgens ganz unerwartet. Wie so oft saßen sie auf den Steinblöcken, die Ferin unter dem Dach hervorgezerrt und vor dem Haus plaziert hatte. Eben hatte sie ihre üblichen Übungen zu Atemtechnik und Reinigung absolviert und nach seiner Anweisung unzählige Bilder in ihrem Geist heraufbeschworen.
»Du bist jetzt weit genug ausgebildet, dich deiner eigentlichen Begabung zu widmen.«
Vor Aufregung begann Ferins Herz wild zu klopfen. Sie hatte sich schon gefragt, wann er endlich das Geheimnis um ihre Heilkräfte lüften würde. Gespannt blickte sie ihn an, aber er schwieg und hielt sein Gesicht in den kümmerlichen Sonnenstrahl, der sich seinen Weg durch das dichte Blattwerk gebahnt hatte.
Das Tier stattete ihnen einen Besuch ab, kletterte flugs auf Sobenios Schoß, wo es sich hinkauerte und seinen Schwanz einrollte. Seine Haut, deren Farbe sich je nach Stimmung ändern konnte, wie Ferin herausgefunden hatte, leuchtete in kräftigen Grüntönen; es schien sich wohlzufühlen.
»Natürlich reicht es nicht aus, sich die Heilung geistig vorzustellen«,
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