Masken - Unter magischer Herrschaft: Roman (German Edition)
diese großen, unschuldigen Augen, die einer Zehnjährigen gehören«, seine Hand durchschnitt die Luft wie ein Messer, ruckartig, als wollte er jedes Wort in ihren Verstand hacken, »denn mit diesem Alter hast du aufgehört, du selbst zu sein. Sich das Gesicht aufzuschneiden mag vielleicht nicht besonders intelligent gewesen sein, doch es zeugt von innerer Stärke. Es hängt mir zum Hals heraus, meine Energie an jemanden zu verschwenden, der sich weigert, sich zu akzeptieren. Ich muss verrückt sein, meine Zeit mit dir zu verplempern.«
Ferin zitterte. In diesem Moment hasste sie ihn, für seine beleidigenden Worte, sein fehlendes Verständnis, seine Hartherzigkeit. Sie wollte aufstehen und rennen. Einfach weg von ihm. Sie wollte nie wieder mit ihm reden, ihn nie mehr sehen. Weshalb saß sie noch hier?
Er ließ die Hand sinken. »Du gehst in den Dschungel. Du musst endlich zu dir selbst finden. Vorher werde ich nicht mehr mit dir arbeiten. Und ich möchte nicht länger darüber diskutieren.«
Der harte Zug um seinen Mund duldete keinen Widerspruch – sie schlug die Augen nieder.
»Du hast Angst.« Sobenio setzte sich neben sie. Er strahlte nach wie vor Eiseskälte aus, die als erdrückende Wand zwischen ihnen stand. »Es ist nicht der Dschungel, den du fürchtest, Ferin.«
Doch!, wollte sie rufen. Es ist der Dschungel, die Tiere, die Gefahr. Das … Alleinsein. Sie schwieg und suchte ihr Heil im wilden Grün über ihren Köpfen.
»Alleinsein, hm. Du meinst, das Auf-dich-gestellt-Sein«, ging Sobenio auf ihre unausgesprochenen Worte ein.
Ferin reagierte nicht. Es war egal, wie er es nannte, Angst, Alleinsein, was auch immer. Sie fürchtete sich einfach. Fürchtete sich davor, nicht zurückzufinden. Und noch viel mehr davor, das bisschen Selbstbewusstsein, das sie sich erarbeitet hatte, wieder zu verlieren.
»Angst vor Verlust«, murmelte er und fügte etwas lauter hinzu: »Du hast deine Familie verloren. Denkst du noch an sie?«
Tränen schossen Ferin in die Augen, der Wald vor ihr verschwamm. Der Magier legte ihr überraschend sanft den Arm um die Schultern. Die eisige Wand schmolz unter seiner Berührung. Alles, was sie noch aufrecht hielt, fiel von ihr ab und brach sich in heftigen Schluchzern Bahn.
Er drückte sie an seine Brust. »Denkst du noch an sie?«, wiederholte er.
»N… nein.« Das tat sie nicht. Sie hatte es sich verboten. Aus Angst vor schmerzhaften Erinnerungen.
»Aber das musst du. Deine Familie gibt dir Halt. Auch wenn sie nicht hier ist. Sie ist deine Heimat. Du darfst sie nicht aus deinem Gedächtnis streichen.«
Ferin nickte, immer noch schluchzend.
»Wie ist deine Mutter? Sie ist eine starke Frau, nicht wahr? Sie würde alles tun, um ihre Tochter zu beschützen.«
Wie konnte er das wissen?
»Und dein Vater? Du liebst ihn sehr. Aber er hat … dich enttäuscht. Hast du Geschwister? Ja … eine Schwester. Sie kennst du schon lange nicht mehr.«
Ferin schniefte und wischte die Tränen fort. Sobenios Worte taten gut, die Bilder, die sie in ihrem Kopf hervorriefen, ebenso. Längst vergessene Erlebnisse, unwichtige Kleinigkeiten waren ihr wieder ganz nah: ihr Vater, der ihr liebevoll über den Kopf strich und ihr erklärte, weshalb sein Gesicht makellos war und ihres entstellt. Ihre Mutter, die ihr die Haare flocht, nach jedem Zopf versicherte: Du hast herrlich dunkles Haar, fast wie eine Merdhugerin. Wir werden es pflegen, bis auch dein Gesicht schön ist. Sie musste lächeln, es würde Monate dauern, bis ihre Haarpracht nachgewachsen wäre. Und Hanneís Strahlen nach der Maskierung – wie sehr hatte sie sie beneidet! Ferin seufzte. Ihr Herz war leichter geworden.
»Siehst du, du musst an sie denken«, sagte Sobenio. »Es gibt viel Schönes, das dich mit deiner Familie verbindet. Es trägt dich. Und deine Gedanken reichen weit. Bis nach Laigdan. Deine Eltern spüren das, und ich bin mir sicher, sie denken auch an dich. Das gibt dir Kraft. Du bist stark genug, deinen Weg zu gehen.«
Wieder nickte sie an seiner Brust, ihr Hass auf ihn war verschwunden. Weshalb konnte er nicht immer so sein?
»Und wenn ich nicht zurückfinde?«, fragte sie. »All das ist mir so wichtig geworden.« All das – ihre neue Heimat, ihre Freunde. Sie konnten ihre Familie nicht ersetzen, doch sie nahmen den gleichen Stellenwert ein. Und sie waren hier. »Ich will es nicht auch noch verlieren. Oder gar … mein Leben verlieren«, stammelte sie hilflos. »Es … es könnte mir weiß der Himmel was
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