Masken - Unter magischer Herrschaft: Roman (German Edition)
zustoßen …«
Er lächelte. »Du verlierst doch nicht dein Leben, weil du durch den Dschungel gehst.« Sanft hob er ihr Kinn, so dass sie ihn ansehen musste. »Im Gegenteil: Du wirst es finden.«
Seine lichtblauen Augen waren so klar wie der Teich. Und tief. Unsagbar tief. In ihnen lag ein Versprechen.
Ferin bückte sich unter einem Ast durch, schlug die ausladenden Wedel eines Farns zur Seite und hielt nach den Kerben Ausschau, die alle paar Schritte in die Baumstämme geschnitzt waren. Entlang dieser Markierungen werde sie die wichtigsten Heilpflanzen finden, hatte Sobenio erklärt. Auch die Cruju. Hätte er das doch gleich gesagt! Sie konnte nur darüber spekulieren, welche Ziele er diesmal wieder verfolgt hatte. Manchmal waren seine Unterrichtsmethoden so verschlungen wie die Pfade, die durch den Dschungel führten.
Ein Knacken hinter ihrem Rücken kurbelte ihren Herzschlag an. Als sie sich umwandte, sah sie sich Ziagáls Bernsteinaugen gegenüber. Er prustete und stellte den Schwanz auf – seine übliche Begrüßung.
Nach ihrer denkwürdigen ersten Begegnung war der Tiger regelmäßig zu ihr zurückgekehrt und hatte während der vergangenen Tage seinem Namen als Beschützer alle Ehre gemacht. Anfangs hatte sie sich nicht getraut, ihrem Tagesrhythmus zu folgen, und hatte sich in oder vor ihrer Hütte aufgehalten, in der Hoffnung, er würde wieder von dannen ziehen. Aber Ziagál war geblieben und hatte sie mit seinen goldenen Augen angeguckt. Mit der Zeit hatte sie begriffen, dass, egal, welcher Beschäftigung sie nachging, Ziagál tun würde, was ihm beliebte. Also hatte sie sich ihrem Schicksal gefügt.
Seither verfolgte er sie wie ein zweiter Schatten, störte sich auch nicht an weiteren Personen, solange es nicht zu viele waren. Ein, zwei Pheytaner duldete er neben ihr, wurden es mehr, dann zog er sich für gewöhnlich zurück, um am darauffolgenden Tag wieder aufzutauchen. Er kam, wann er wollte: manchmal am Morgen, etwa bei ihrem Bad im Teich, das er meist zum Anlass nahm, sich zu ihr zu gesellen und vergnügt durch das erfrischende Nass zu pflügen. Dann wieder am Nachmittag, wenn sie vor ihrer Hütte saß und lernte, da streckte er sich zufrieden neben ihr aus und untermalte ihre Gedankengänge mit seinem Schnurrkonzert. Oft erschien er auch bei Sobenios Haus, legte sich neben den Steinsockel und hielt sein Schläfchen, während Ferin dem Magier half, er sie prüfte oder sie ihre Übungen vollzog. Ferin hatte sich über die Anhänglichkeit des Tigers gewundert und Tamir danach gefragt. Ziagál könne eben spüren, dass sie ihn nötig habe, hatte er mit einem tiefgründigen Lächeln erklärt.
Jetzt auf jeden Fall, dachte sie. Es war das erste Mal, dass sie den Mächten für das unvermutete Auftauchen des Tigers dankte. »Na du«, sagte sie, »was hast du heute vor?«
Ziagál setzte sich auf die Hinterpfoten und blickte andächtig zu ihr auf.
»Ich hoffe doch, dass du schon gefrühstückt hast?«
Seine Lefzen zuckten, er öffnete das Maul und ließ seine rosa Zunge sehen.
»Soll das der Beweis sein?« Sie musste schmunzeln. »Gut, ich glaube dir. Wenn das so ist, dann darfst du mich begleiten.«
Ferin rückte die Schulterriemen von Wasserbeutel und Leinensack zurecht und stapfte los. Das gleichmäßige Trappen von Ziagáls Pfoten auf dem weichen Waldboden war ihr so willkommen wie nichts sonst auf der Welt. Es war seltsam, aber mittlerweile fühlte sie sich sicher in seiner Nähe.
Da! Dort war eine Markierung. Nicht weit davon fand sie die nächste. Für geraume Zeit arbeitete sie sich auf diese Weise voran, prüfte jeden Baum auf Einkerbungen, damit sie nur ja nicht die Orientierung verlor. Bald erkannte sie, dass sie sich auf einem Pfad bewegte, den Sobenio bei seinen vielen Wanderungen in den Dschungel geschlagen haben musste. Trotzdem war es mühsam, sich durch das Gestrüpp zu schlängeln, Äste beiseitezuschieben oder Ranken zu übersteigen. Und dabei hatte sie noch nicht einmal begonnen, nach der Cruju zu suchen. Die Schlingpflanzenart liebte sonnige Plätze; ihre Schotenfrüchte versteckten sich gern hinter den herzförmigen Blättern und waren leicht zu übersehen.
Unendlich viele Markierungen später öffnete sich das Halbdunkel des Waldes ganz plötzlich zu einer Lichtung. Verblüfft blinzelte Ferin in die Sonne. Was sie bisher vom Dschungel gesehen hatte, waren riesige Bäume, rankende Blattgeflechte, verwachsenes Gebüsch und Farne, die beinahe so hoch wie sie waren. Alle
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