Masken - Unter magischer Herrschaft: Roman (German Edition)
Hier ist niemand.«
»Das mag sein. Dennoch ist mir nicht wohl dabei. Der Täter könnte zurückkommen. Gehen wir.«
»Du willst ihn hier liegen lassen?«, fragte Ferin ungläubig.
Sobenio wischte ihren Einwand mit der Hand weg. »Der ist doch so gut wie tot. Und wir auch, wenn wir noch länger warten.«
»Aber er lebt!« Erneut fühlte Ferin Puls und Atem des Fremden – ja, er lebte. Und sie fühlte etwas anderes: ein Kribbeln unter ihren Händen. Wie das? Sie hatte sich nicht auf ihre Heilkräfte konzentriert, und doch tat sich da etwas. Ganz von selbst? »Er lebt«, wiederholte sie.
»Er wird sterben«, beharrte Sobenio.
Sie blickte auf. »Wie kannst du das wissen? Er muss nur versorgt werden.«
»Nur? Der Stich ist am Herzen, er hat viel Blut verloren. Manchmal kommt jede Heilung zu spät. Dem da ist nicht zu helfen.«
In Ferin regte sich Widerstand. Sobenio wollte den Mann einfach seinem Schicksal überlassen?
»Nein«, sagte sie mit fester Stimme. Noch niemals war sie sich einer Sache so sicher gewesen. »Nein, wir müssen etwas tun.« Ihre Hände wanderten ganz von selbst zu seinem Brustkorb, das Kribbeln verstärkte sich, und sie erinnerte sich an den Abend, an dem sie Nolinas Schwangerschaft entdeckt hatte. Sie hatte das winzige neue Leben gespürt, und nun spürte sie ebenfalls Leben.
»Ferin …«
»Nein.« Sie konnte gar nicht glauben, was sich unter ihren Händen abspielte. »Ich kann ihn spüren.«
»Du kannst ihn spüren«, höhnte Sobenio. »Sehr erfreulich, endlich machst du Fortschritte. Und was denkst du, was wir hier tun können? Gar nichts! Die Wunde ist zu tief, der Blutverlust gewaltig.«
Sie erhob sich und sah Sobenio direkt in die Augen. »Du bist ein Magier.«
»Was hat das damit zu tun? Ich kann Tote nicht zum Leben erwecken.«
»Er ist nicht tot.«
»Noch nicht, aber bald. Er benötigt Heilpaste, Medizin, einen Verband.«
»Dann bringen wir ihn zu deinem Haus.«
»Bringen? Du meinst, tragen. Weißt du, wie weit das ist?«
»Das ist mir klar«, sagte sie ärgerlich. Was sollte diese Diskussion? Sie vergeudeten wertvolle Zeit. »Dann tragen wir ihn eben.«
Sobenios Miene war unergründlich. »Ich bin nicht bereit …«
»Du bist nicht bereit, ihm das Leben zu retten? Du bist bereit, einen Menschen zu töten? Denn das tust du, wenn du ihn hier liegen lässt.«
»Er ist ein verdammter Merdhuger«, knurrte Sobenio.
Jetzt wurde Ferin wütend. Sie wusste instinktiv, dass sie den Punkt erreicht hatte, an dem ihr Zorn jegliche Vernunft ausschaltete. An dem sie Dinge tat oder sagte, die sie später bereuen würde. Sie konnte trotzdem nicht an sich halten. All der aufgestaute Ärger Sobenio gegenüber brach aus ihr hervor.
»Ist sein Leben deshalb weniger wert? Weil er ein Merdhuger ist? Denkst du so? Dann bist du nicht besser als sie!«, schrie sie den alten Magier an. »Wie kannst du mich das alles lehren und mir dann eiskalt ins Gesicht sagen, dass du einen Mann lieber sterben lässt, als dich ein wenig anzustrengen? Das ist abscheulich und herzlos! Widerwärtig! Du bist widerwärtig! Du verlangst Dinge von mir, die du selbst nicht bereit bist zu tun!«
Sobenio war leichenblass geworden. Er gab keine Antwort, seine Augen irrten zwischen dem Verletzten, Ziagál und der lila Kugel umher. Nur Ferin konnte er nicht ansehen.
Sie stieß den Atem heftig aus, löste ihr Tuch von den Hüften und stopfte es dem jungen Mann als dickes Knäuel unter das Hemd. Ein notdürftiger Verband, aber vielleicht konnte er die Blutung zumindest so lange stillen, bis sie die Wunde versorgen konnte. Wie sollte sie es nur allein bis zum Haus schaffen? Wahrscheinlich bekam sie ihn nicht einmal vom Fleck. Als sie dem Fremden unter die Arme greifen wollte, schubste Sobenio sie zur Seite.
»Nimm seine Beine!«, wies er sie schroff an und fasste seinerseits unter die Achseln des Verletzten.
Dankbar und ein wenig überrascht ob des plötzlichen Sinneswandels kam sie seiner Aufforderung nach. Die klobigen Stiefel drohten ihr sofort wieder aus den Händen zu rutschen. Sobenio ging los, ohne auf sie zu achten, und legte ein ordentliches Tempo vor, und das, obwohl er sich seitwärts bewegen musste.
Relativ rasch musste Ferin einsehen, dass ihr Vorhaben an Irrsinn grenzte. Das Gewicht des Mannes hängte sich schwer an ihre Arme, und der Weg durch den Dschungel war weit und beschwerlich. Es stand in den Sternen, ob der Merdhuger den Transport überhaupt überlebte. Sie keuchte, schwitzte, biss die
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