Maskenball
75. Und das hat damit zu tun, dass wir jüngere, und damit meine ich auch mich, dem ›alten‹ Leben nicht besonders viel Bedeutung beimessen. Mein Bekannter meint, wir, also die Gesellschaft, hat keinen Respekt mehr vor dem Alter.«
Frank atmete tief ein. »Wo Sie das so sagen, meine Großmutter hatte zuletzt immer davon gesprochen, dass sie doch nur eine Last für die Familie sei, und am liebsten sterben würde. Dann hätten wir nicht mehr so viel Arbeit. Das könnte doch auch etwas wie ein, ja, wie ein indirekter Selbstmord sein, oder?« Frank schüttelte sich. »Das sind schon merkwürdige Gespräche in einem Motorradladen. Eigentlich müssten wir uns doch eher über PS, Ausstattung und Komfort unterhalten, oder?«
»Aber genau das ist es doch, wir reden immer am eigentlichen Thema vorbei: Was wird aus uns, wenn wir zu alt sind, um Motorrad zu fahren? Wann und wie werden wir sterben? Wir tun doch immer nur so, als ob unser Leben nie enden wird. Dabei kann es jeden Moment so weit sein. Wer sagt denn, dass ich nicht gleich überfahren werde, wenn ich mit meinem Bock vom Hof fahre? Wir leben, um zu sterben. Aber wir tun so, als ob das nur die anderen betrifft. Es gibt keine Fluchttür vor dem Leben und dem Sterben.«
Frank sah in seine Tasse. »Sie machen mir Mut.«
»Ach, hören Sie doch auf mit Ihrem Selbstmitleid.« Viola Kaumanns sah ihn spöttisch von der Seite an. »Stellen Sie sich lieber diesen Fragen, und es wird Ihnen besser gehen.«
Frank sah sie irritiert an. »Wieso sollte es mir schlecht gehen? Wie kommen Sie eigentlich dazu, in meiner Psyche zu kramen?
Anstatt zu antworten, stand Viola Kaumanns einfach auf und winkte vom Broich. »Danke für den Kaffee. Ich komme in ein paar Tagen zurück, dann müssten die Teile doch da sein, oder?«
Jörg vom Broich nickte. »Aber klar.«
An der Tür zum Parkplatz drehte sich Viola Kaumanns noch einmal zu Frank um. »Denken Sie an meine Worte. Auch Sie kommen nicht davon. Schönen Tag und viel Spaß im Karneval noch.« Sie winkte ihm zu und setzte ihren Helm auf. »Ich finde, dass sich Eckis Frau über das Geschenk freuen kann. Sie wird bestimmt Spaß am Motorradfahren haben. So wie ich. Ich fahre fast das ganze Jahr durch.«
Diese Frau verwirrte ihn immer mehr. So etwas hatte Frank noch nicht erlebt. Woher nahm diese junge Frau die Sicherheit und das Selbstbewusstsein, mit der sie über das Leben und das Sterben philosophierte? Und sich damit massiv in Franks Leben mischte? Wenn man sie so reden hörte, könnte man glatt in Depressionen verfallen, dachte Frank und winkte dem Verkäufer zu, als er den Laden verließ. Draußen hatte es leicht zu schneien angefangen. Er hasste diese Tage, an denen es nicht richtig hell werden wollte. Für Veilchendienstag hatten sie Schneeregen angesagt.
XXIII.
Peter Shriver legte den Hörer zurück und sah seinen Kollegen ausdruckslos an. »Es gibt Arbeit. Lass uns gehen.«
Eine Viertelstunde später standen die beiden Ermittler vor einem schmalen alten Backsteinbau. Im Untergeschoss hatte eine Wohltätigkeitsorganisation ihr Ladenlokal. Das breite Schaufenster war nachlässig und spärlich mit einigen alten Büchern, von zuviel Sonnenlicht ausgeblichenen Pappschachteln mit Gesellschaftsspielen und einigen schon lange aus der Mode gekommenen Kleidungsstücken dekoriert. Shriver konnte nicht erkennen, ob Kundschaft im Laden war. Er sah an der Hausfassade hoch. In der ersten Etage sollte es sein. Auf den ersten Blick konnte er nichts Ungewöhnliches erkennen. Er sah sich um. Der Hausmeister war nirgends zu sehen. In der Seitenstraße, an der die Wohnung lag, war um diese Tageszeit nur wenig Betrieb. Am Bordstein parkten nur wenige Autos. Es war eine eher arme Gegend. Die Fahrzeuge hatten allesamt schon bessere Zeiten gesehen, dachte Shriver. Er nickte seinem Kollegen zu, der schweigsam einen Kaugummi kaute und die Hände wegen der Kälte tief in den Manteltaschen stecken hatte. »Vielleich wartet der Hausmeister oben. Schließlich ist es saukalt.«
Shrivers Kollege nickte nur und schob nachlässig mit einer Hand die nur angelehnte Tür zum Hausflur auf. Der schmale Gang roch penetrant nach altem Fett und dem undefinierbaren Inhalt einer Handvoll Müllsäcke, die in der Ecke zur Treppe zusammengestellt waren.
Seufzend stieg Peter Shriver hinter Hank Shoemaker die schmale Stiege empor. Auf dem zweiten Absatz wurden sie von dem Hausmeister empfangen, der seinen großen Schlüsselbund in der Hand unablässig hin und her
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