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Maskenball

Maskenball

Titel: Maskenball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Kuesters
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Jahres verstorben sein. Ja, ich bin unterwegs. Rufen Sie mich an, so schnell wie möglich. Ja, und rufen Sie Ecki an. Er soll sich auf den Weg ins Präsidium machen. Ich brauche ihn dort.« Frank wollte schon auflegen, als ihm noch etwas einfiel. »Sagen Sie bitte Heini Bescheid, er soll mich anrufen." Was? Nein, sagen Sie ihm natürlich nicht, dass ich ›Heini‹ gesagt habe. Er soll in seinen Unterlagen kramen, ob er etwas zu der Zeit zwischen ’39 und ’45 findet. Nein, natürlich nicht allgemein, sondern bezogen auf die Orte, die heute die Stadt Nettetal sind. Etwas über Einquartierungen, Kampfhandlungen, durchziehende Einheiten, alles.«
    Frank stieg aus. Die Zeit bis zum Rückruf wollte er sich mit einem Besuch auf dem Friedhof verkürzen. Breyell war zu dieser Tageszeit wie ausgestorben. Er sah sich um. Breyell wirkte bei seinen Besuchen eigentlich immer wie ausgestorben, dachte Frank. Eigenartig, eigentlich mag ich das Dorf sehr, andererseits, und ehrlich eingestanden, ist es ja schon lange nicht mehr mein Dorf.
    Frank hatte den Eingang neben der Feuerwehreinfahrt und der ehemaligen Post schnell erreicht. Er hielt kurz inne. In dem Gebäude wurden schon lange keine Briefmarken mehr verkauft und Päckchen entgegengenommen. Dabei wird wohl kaum einer der jüngeren Breyeller wissen, dachte Frank, dass an der Stelle vorher die Dorfschule gestanden hatte, in der noch sein Vater Schüler gewesen war.
    Frank seufzte still und ging weiter. Auf den Straßen Breyells sah er immer seltener ein bekanntes Gesicht, dafür mehrten sich die vertrauten Namen auf dem Friedhof. Das ist wohl so, dachte Frank und ging den Weg vorbei an den mächtigen Kastanienbäumen, an deren Ästen noch keine Knospen zu erkennen waren. Als Kind war er im Herbst oft auf den Friedhof gelaufen, natürlich nur tagsüber, um Kastanien zum Basteln zu sammeln oder bunte große Blätter für den Naturkundeunterricht aufzulesen. Der Herbst war für ihn die schönste aller Jahreszeiten. Die bunte Vielfalt der Bäume, Parks und Wälder ließ ihn jedes Mal melancholisch und glücklich zugleich werden. Der bunte Herbst war wie ein zu früh endendes Leben, das er nicht loslassen wollte. Und doch war das fallende Laub wie ein Versprechen auf die Zukunft und so etwas wie ein erster Vorbote des neuen Lebens, das noch so weit jenseits des Winters lag.
    Bei dem Gedanken blieb Frank unvermittelt stehen. War das die Wahrheit hinter den Gedichtzeilen, die sie bei den Toten gefunden hatten? Das Leben geht zu Ende, aber es kann etwas Neues wachsen. Frank war sich nicht sicher. Was sollte dieses Neue sein? Warum war es verbunden mit Tod und Zerstörung? Das konnte nicht die zutreffende Interpretation des Rilkegedichts sein. Nie und nimmer. War es der Hinweis, den der oder die Täter mit den Blättern geben wollten? Hatten etwa die Morde für ihn oder sie eine reinigende Kraft?
    Frank schüttelte unwillkürlich den Kopf, diese Logik konnte nur für eine gestörte Persönlichkeit gelten. Anders konnte es nicht sein. Sie suchten einen Psychopathen, der morden musste, um sich zu reinigen. Gereinigt sein – wofür? Mit Morden Schuld abwaschen? Welche Schuld? Wann und durch wen oder durch was aufgeladen? Und was hatte das mit diesem Foto der sieben Soldaten zu tun? Frank wusste keine Antwort. Er spürte zwar ganz deutlich, er war hier auf dem Kirchhof in Breyell der Lösung seiner Fälle nahe, gleichzeitig fühlte er sich hilflos und auf eine unbestimmte Art fremdbestimmt. Der Täter spielte ein Spiel mit ihm, das er bisher weder verstanden noch durchschaut hatte.
    Frank sah durch das Gewirr der nackten Äste gegen das dunkle Grau der dichten Wolkendecke. Herr im Himmel, hilf mir! Frank schüttelte sich und ging weiter. Eine Lösung musste her, und zwar schnell. Warum, zum Teufel, riefen Schrievers und Kaumanns nicht zurück?
    Auf dem alten Friedhof lagen nicht nur seine Eltern, sondern auch seine Großeltern. Er würde der erste Borsch sein, der nicht in Breyell zu Grabe getragen werden würde. Da war er sich sicher. Er glaubte nicht, dass er sich mit Lisa über eine Grabstätte in Breyell würde einigen können.
    Als er sich vom Grab seiner Eltern abwandte, suchten seine Augen die alten Grabstätten der Breyeller, die um die vorvergangene Jahrhundertwende angelegt worden waren. Die teilweise großen, herrschaftlichen Grabanlagen waren noch nicht abgeräumt worden. Auch das Grab mit dem großen Engel war noch da. So makaber es auch für einen Außenstehenden klingen

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