Maskenball
Auf dem Dach der Häuserzeile gegenüber saßen Tauben. In einer der Wohnungen hatte Verhoeven gelebt. Was mochte er über den Platz und dieses, sein Dorf gedacht haben? Hatte er gerne in Breyell gelebt? Mit wem war er in seiner Kindheit befreundet gewesen? Verhoeven musste auch seinen Vater gekannt haben. Sie mussten ungefähr ein Jahrgang gewesen sein. Ob sie in die gleiche Klasse gegangen waren, dort in der Schule neben dem Friedhof? Ob sie auch Kastanien gesammelt hatten für den Unterricht? Und was war mit Krüger? Auch er könnte ein Schulfreund seines Vaters gewesen sein. Frank beschlich das beklemmende Gefühl, dass die Geschichte der alten Männer enger an seine eigene Familiengeschichte gebunden war, als Frank das bislang klar gewesen war. Was hatte den Jungen damals Freundschaft bedeutet? Gemeinsam Streiche aushecken? Den Lehrer ärgern? Zusammen im Heu liegen und gemeinsam von der hübschen Tochter des Zollbeamten träumen, die regelmäßig bei ihrer Tante zu Besuch war?
Frank trank einen Schluck Milchkaffee. Hirngespinste. Wie sollte er wissen können, wie es damals zugegangen ist, in diesem kleinen verschlafenen Dorf? Er musste Zeitzeugen finden, die ihm erzählen konnten, was er wissen wollte. Er musste sich dringend mit Krüger unterhalten. Aber erst musste er die Angehörigen von Feldges finden.
Ihm ging Herbert Verhoeven nicht aus dem Sinn. Frank war sich sicher, dass er beim Verlassen des Hauses beobachtet worden war. Er musste dringend Ecki sprechen. Die Auswertung der ersten TÜ-Bänder durfte er nicht lange vor sich herschieben. Wenn Verhoeven tatsächlich am Fenster gestanden hatte, dann würde es nicht mehr lange dauern, bis sie ihn im Präsidium hatten. Er war schon gespannt darauf, was Herbert Verhoeven zu sagen hatte. Er würde erklären müssen, warum er sich ganz offensichtlich vor der Polizei versteckte. Er musste schon verdammt gute Argumente haben, um nicht weiter als ihr Verdächtiger Nummer Eins zu gelten. Der Sohn, der sich an seinem Vater rächt, und an allen, die mit ihm zu tun hatten.
Aber, warum? Was war in Verhoevens Vergangenheit passiert, damit ein Sohn zum Mörder wird? Oder waren die Opfer nur durch einen tragischen Zufall zum Opfer geworden? Weil Verhoeven sie in der Hardterwald-Klinik kennengelernt hatte. Ein Psychopath, dem die hilflosen Opfer quasi auf dem Krankenbett serviert worden waren. Andererseits, Morde waren selten Zufallsprodukte.
Frank orderte gerade einen zweiten Milchkaffee, als sein Mobiltelefon klingelte. Am anderen Ende der Leitung war Viola Kaumanns.
»Bingo, wir haben Wilhelm Feldges Namen gefunden, auf einer der aktuellen Listen. Er ist im Januar gestorben. Herzversagen, auf einer Karnevalssitzung.«
»Auf einer Karnevalssitzung?«
»Ja, an einem ›Quellensee‹ in Breyell, wo immer das auch ist. In einem Zelt der Wölese, was immer das auch bedeuten mag.«
Natürlich, die Rothaarige an der Theke, bei der Bluesnacht in Niederkrüchten! Mensch, Borsch, daraufhättest du schon eher kommen können! Frank war sauer auf sich selbst. Er verschwieg seine Dusseligkeit und erklärte stattdessen, »die Wölese, das ist ein überaus erfolgreicher Karnevalsverein, eigentlich eine Kolpinggemeinschaft.«
»Sie kennen sich aus, Herr Kommissar.« Ihre Stimme klang trotz der schlechten Verbindung leicht spöttisch.
»Kunststück, meine halbe Verwandtschaft ist dort aktiv.«
»Jedenfalls hat wohl kein Fremdverschulden vorgelegen. Feldges ist nicht in diesem Zelt gestorben, sondern auf dem Männerpissoir des Restaurants ›Quellensee‹. Ich habe schon mit dem Notarzt telefoniert, der damals vor Ort war. Feldges hat halb in der Kloschüssel gelegen.« Viola Kaumanns Stimme klang, als würde sich die Polizeibeamtin allein bei dem Gedanken an die ungewöhnliche Auffindesituation ekeln.
»Und, wo hat Feldges gelebt?«
»Auf einem Bauernhof, irgendwo da in der Gegend, an einem See. Kann das sein: Breyeller See? Muss am Ortsausgang von Lobberich sein.«
»Vielen Dank für die schnelle Arbeit. Hat sich Schrievers schon gerührt?«
»Ich habe nur kurz mit ihm gesprochen. Alles, was er auf die Schnelle auftreiben konnte, waren ein paar kurze Notizen darüber, dass Breyell und Umgebung ab Herbst ’44 eigentlich von der Zivilbevölkerung weitgehend geräumt war.«
»Irgendetwas über Truppenbewegungen, Zahlen und Daten über eingezogene Breyeller, Einheiten, Stellungen?«
»Nein, dazu war bisher die Zeit zu kurz. Schrievers läuft gerade zur Hochform auf. Sie
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