Maskenball
Bewegung den Kaffeebecher an sich und stellte ihn auf die Spüle.
Während Feldges Tochter Kaffee kochte, öffnete Frank die alte rechteckige Blechdose. Sie war kaum größer als ein Briefumschlag. Wozu sie einmal gedient hatte, konnte Frank nicht mehr erkennen.
Im Inneren sah die Dose messingfarben aus. Neben einigen Feldpostbriefen und Postkarten fand Frank einen Stapel Fotos in unterschiedlichen Größen. Die meisten waren ohne Datum, nur auf einigen waren Ort und Zeit in altdeutscher Handschrift vermerkt. Demnach waren die Aufnahmen meist in den 40er Jahren gemacht worden. Die Briefe und Postkarten legte Frank achtlos zur Seite. Dagegen ging er die Fotografien Stück für Stück langsam durch. Im unteren Drittel fand er schließlich, wonach er gesucht hatte.
»Frau Thürlings? Sind das alle Fotos Ihres Vaters?«
Marlene Thürlings ließ noch einmal Wasser durch den Kaffeefilter laufen. »Nein, es gibt noch ein paar Alben. Aber da sind nur neuere Bilder drin, und alte Familien- und Kinderfotos von mir.«
Frank hielt ihr das Foto mit den sieben jungen Soldaten entgegen, die sich in fröhlicher Linie vor dem unbekannten Fotografen aufgereiht hatten. »Sagt Ihnen diese Aufnahme etwas?«
Marlene Thürlings nickte. »Seltsam, das ist genau das Foto, das mein Vater, übrigens der ganz links auf dem Foto, oft hervorgekramt und angesehen hat. Es hat mit einer tragischen Geschichte zu tun, die in den letzten Kriegstagen passiert ist. Mein Vater hat viel darüber gesprochen. Das ist ihm sehr nahe gegangen, damals. Und in all den Jahren danach.«
»Kennen Sie zufällig die Namen der Männer auf diesem Foto?« Frank wünschte, dass Ecki jetzt bei ihm wäre.
»Aber sicher, ich habe die Geschichte ja oft genug anhören müssen. Warten Sie, also, links außen, das ist mein Vater, Wilhelm Feldges. Der kleine dicke neben ihm ist Friedrich Flusen. Dann kommt der Schlacks, Das ist Hans Lehnert. Dann: Edgard Breuer, Heinrich Krüger, Johannes Paul Hecker, und der Blonde hier, das ist, soweit ich weiß, Hans-Georg Verhoeven.«
Frank war wie gelähmt. Wilhelm Feldges, Friedrich Flusen, Hans Lehnert, Edgard Breuer, Heinrich Krüger, Johannes Paul Hecker und Hans-Georg Verhoeven: Sieben Namen, sieben Freunde, vier davon ermordet. Das Foto war das erste Indiz, dass die Morde an den alten Männern einem bestimmten Muster folgten. Aber was war der Schlüssel zu ihrer Aufklärung? Frank spürte, er war in ihren Ermittlungen ein großes Stück weiter gekommen. Ein altes zerknittertes Foto von sieben Wehrmachtssoldaten, aufbewahrt in einer alten Blechkiste: Frank hatte das Gefühl, einen Schatz gehoben zu haben. »Sagen Sie, Frau Thürlings, was wissen Sie über die Männer?«
»Nicht viel, fürchte ich. Lassen Sie mal sehen. Also, mein Vater hat mir erzählt, dass Hans Lehnert noch kurz vor Kriegsende gefallen ist. In Mönchengladbach an der Landwehr, bei der Explosion eines Munitionsdepots, nahe einer Lungenheilstätte.«
»Die Hardterwald-Klinik. Sie war ursprünglich gebaut worden als Lungenheilstätte. Weiter, Frau Thürlings, bitte.«
»Sind das die Opfer dieses Mörders?«
»Bis auf Lehnert, Friedrich Flusen und Heinrich Krüger.«
»Über Heinrich Krüger weiß ich nichts. Ich weiß nur, dass Friedrich Flusen tot ist. Schon lange tot ist.«
»Sie sagen das mit so einem Unterton.« Frank war froh, diese Frau getroffen zu haben.
»Das ist es ja, was meinen Vater so belastet hat. Er hat sich immer mitschuldig gefühlt am Tod von Friedrich Flusen.« Marlene Thürlings wirkte angestrengt. »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das erzählen soll. Das hat bestimmt nichts mit den Morden zu tun, die Sie aufklären müssen. Ich halte Sie gewiss nur unnötig auf.«
»Nein, nein, jedes Detail kann wichtig sein. Erzählen Sie ruhig. Ich weiß dann schon, ob es für mich wichtig ist oder nicht.«
Marlene Thürlings stand auf. »Lassen Sie mich erst den Kaffee fertig machen.«
»Lassen Sie sich ruhig Zeit. Es drängt Sie niemand.«
Marlene Thürlings setzte den Filter ab, füllte beide Kaffeebecher und verschloss dann sorgfältig die Kanne. Mit beiden Bechern kam sie zum Tisch zurück und setzte sich wieder. »Ich will eines vorwegschicken: Ich habe meinen Vater nie für das verurteilt, was er mir erzählt hat. Schließlich war Krieg. Damals sind Dinge passiert, die nicht mehr in der Macht des Einzelnen standen. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Ich kann es mir in etwa vorstellen. Aber ich sitze nicht als Richter vor Ihnen, Frau
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