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Maskenball

Maskenball

Titel: Maskenball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Kuesters
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ihre Opfer, jede Zeit hatte ihre Täter. Und jede Zeit hatte ihre vorbestimmten Sühner. Er atmete tief ein und nahm den feuchten modrigen und doch so kraftvollen Geruch des Waldes in sich auf. So hatte es auch damals gerochen. So hat es gerochen, bevor der Schuss fiel. Aber nun war es vorbei, endlich vorbei. Er spürte so etwas wie eine Spur Müdigkeit. Es war die Erschöpfung seiner Seele, die ihn stehen bleiben ließ. Angst vor der Zukunft hatte er nun keine mehr. Dieses Gefühl von nahender Freiheit machte ihn fast trunken vor Glück. Er hatte der Geschichte, seiner Geschichte und der Geschichte seiner Freunde, die Würde zurückgegeben. Seine eigene Würde war in der zurückliegenden Zeit zur wiedererlangten Würde einer ganzen Generation geworden.
    Er tastete vorsichtig über die Tasche in seinem Mantel. Er fühlte die Konturen des Fotoapparats. Mit der rechten Hand fuhr er über die Tasche auf der anderen Mantelseite. Er spürte deutlich die Umrisse des kleinen Kästchens, das seine scharf geschliffenen Klingen barg. Sie hatten ihre Mission erfüllt, die er an so vielen langen Abenden und unter fast unerträglichen Qualen vorbereitet hatte. Sie würden gut hierhin passen. Sie mussten hier zurückbleiben. Auch die schwere Pistole, die er in einem unscheinbaren Leinenbeutel schon die ganze Zeit bei sich trug, hatte ihren Dienst getan. Er musste an den Anfang denken. Fast wäre er dabei entdeckt worden, als er seine Schätze aus ihrem Versteck geholt hatte. Fast wäre seine Mission schon zu Beginn gescheitert. Aber er hatte die Werkzeuge seiner Sühne rechtzeitig bergen können, bevor der Abrissbagger den alten Einmannbunker im dichten Gestrüpp aufgespürt hatte. Welch ein Zufall der Geschichte! Das Roden von Unterholz, das Freiräumen von wertvollen Flächen, hatte etwas Reinigendes. Etwas Neues sollte geschaffen werden. Auch er hatte Neues geschaffen. Neues, ja, Neues. Indem er das alte Gestrüpp aus Ängsten und seiner Not, das tief in seiner Seele verborgen gewuchert war, mit seiner Mission gereinigt, gerodet hatte. Wäre er damals nur einen Tag später in »seinen« Unterstand gekrochen, der die Jahrzehnte unentdeckt und vergessen tief im waldigen Gelände überdauert hatte, sein ganzes Streben, seine ganze Arbeit wäre auf einen Schlag zunichte gewesen.
    Langsam tastete er sich vor. Immer im Schutz der noch kahlen Bäume, die viel zu weit auseinanderstanden, um ihm wirklich als Versteck zu dienen. Er sah sich um. Um diese Jahreszeit waren nur wenige Menschen unterwegs. Es war zu kalt für Spaziergänge, zumal die meisten nur langsam vorankommen würden. Der Park lag wie ausgestorben vor ihm. Immer noch langsamen Schrittes ging er nun aber aufrecht in Richtung der verlassenen Station, die im hinteren Bereich der Klinik lag. Dort war der einzig richtige Ort für seine Werkzeuge. Er musste sie erst vergraben, bevor er den Arzt aufsuchen konnte. Erst dann würde er Ruhe haben.
    Er blieb neben dem über und über mit grünen Moosen und Flechten überzogenen alten Klinikgebäude stehen. Der Weg bis hierhin war lang und beschwerlich gewesen. Er spürte nun doch die Müdigkeit seiner durchwachten Nacht. Er sah an der verwitterten Fassade empor. Einige der Rollläden waren hochgezogen und hingen schief in ihren Führungen. Die meisten der an einer Stelle eingebauten Glasbausteine waren blind. Die Türen waren verschlossen. Es hatte offenbar keinen Sinn gemacht, das Haus zu erhalten. Die alte Station würde der steinerne Wächter seiner vergrabenen Schätze sein.
    Ächzend ließ er sich auf seine Knie nieder. Dabei achtete er nicht darauf, dass der feuchte Waldboden seinen Mantel beschmutzte. Er hatte keine Angst mehr. Und auch keinen Bedarf mehr für einen schützenden sauberen Mantel. Mit bloßen Händen schob er die oberste Schicht des Waldbodens zur Seite. Dann hielt er inne. Er zog die Kamera hervor und das Kästchen und legte beides neben den Beutel mit der Pistole. Er musste wissen, wie viel Platz er schaffen und wie tief er graben musste.
    Der Boden war an dieser Stelle unerwartet locker und ließ sich mit den Händen leicht aufgraben. Er kam gut voran. Nach wenigen Minuten hatte er bereits ein ansehnliches Loch geschaffen. Nur noch wenige Zentimeter, und er würde in einer heiligen Zeremonie seine Schätze der Erde übergeben, so wie Friedrich und die anderen der Erde übergeben worden waren.
    Seine Hände schmerzten nun vor Kälte. Er rieb sie lange gegeneinander und blies immer wieder warmen Atem in die

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