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Maskenball

Maskenball

Titel: Maskenball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Kuesters
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hatte vor Jahren ein ganz besonderes Schlüsselerlebnis gehabt. Damals hatte er einen Selbstmörder von einem Dachbalken abschneiden wollen und dazu den Körper des Toten in die Arme genommen und ein Stück hochgehoben. Als sich das Seil löste, das den Hals abgeschnürt hatte, entwich unvermutet ein Rest Luft aus dem Brustkorb des Mannes. Direkt in Eckis Gesicht. Es hatte wie ein Rülpsen geklungen. Noch Tage später war Ecki ganz grün im Gesicht gewesen. Seither ging er Toten nach Möglichkeit aus dem Weg.
    Frank beobachtete den diensthabenden Gerichtsmediziner Richard Leenders, der in einem weißen Einmaloverall am Tisch stand. Er beugte sich gerade mit ausgebreiteten Händen, die in dünnen Gummihandschuhen steckten, interessiert über den offenen Brustkorb der Leiche. Wie im Operationssaal, dachte Frank. Er zwang sich, den Toten genauer zu betrachten. Soweit dies von seinem Standort aus überhaupt möglich war. Es sah nicht so aus, als ob sich das Opfer gewehrt hatte. Sein Körper, seine Arme und Hände, wiesen keine äußerlichen Spuren von Verletzungen auf, die typisch sind für Abwehrversuche.
    »Was meinst du, Leenders?«
    »Auf den ersten Blick entsprechen die inneren Organe, soweit ich das hier auf die Schnelle überhaupt beurteilen kann, seinem Alter. Scheint ein Trinker gewesen zu sein. Die ganzen Flaschen im Wohnzimmer, seine Haut, seine Leber, typische Anzeichen.« Leenders wühlte mit seiner rechten Hand im Bauchbereich der Leiche. »Interessant, höchst interessant. Willst du mal sehen?«
    Frank hob abwehrend die Hände. »Verschone mich. Der Bericht reicht mir. Wann kann ich in die Küche?«
    »Das dauert noch. Wir haben gerade erst angefangen. Der Bericht wird dauern. Ich habe morgen frei.« Leenders merkte, dass Frank auffahren wollte. Borsch fiel doch immer wieder darauf rein. »War ’n Witz.«
    Frank sagte nichts und stand auf. Solange er nicht in die Küche konnte, blieb ihm die Gelegenheit, sich in der Wohnung umzusehen. Es war eine kleine Wohnung, nicht viel größer als 50 oder 60 Quadratmeter. Aber genug für einen alleinstehenden Rentner. Breuer hatte wenig Wert auf eine wohnliche Atmosphäre gelegt. Die Wände waren kahl. Auf den Fensterbrettern standen keine Blumentöpfe. Die Einrichtung war abgenutzt und eher ärmlich. Der Mann hatte zumindest in den vergangenen Jahren sein Lebensumfeld auf das Nötigste beschränkt. Von Ordnung hatte er nicht viel gehalten. Überall standen leere Schnapsflaschen, lagen zerlesene Bild-Zeitungen. Der Tisch im Wohnzimmer war übersät mit Brotkrümeln und Zigarettenasche. Auf dem Sofa lagen ein zerwühltes Kopfkissen und ein fleckiges Oberbett. Es sah so aus, als habe Breuer die überwiegende Zeit des Tages auf der Couch vor dem Fernseher gelegen. Es roch nach altem Schweiß, Zigaretten und abgestandener Luft.
    Die meisten Fächer im Wohnzimmerschrank waren leer. In einer Schublade fand Frank ein paar Briefe von Behörden und einige Kontoauszüge. Breuer war in der Tat nicht mit Reichtümern gesegnet gewesen. Außer einer schmalen Rente fanden sich keine größeren Einzahlungen. Der Mann musste buchstäblich von der Hand in den Mund gelebt haben. In einem Fach fand Frank einen großen braunen Briefumschlag. Frank nahm ihn mit spitzen Fingern heraus und sah hinein. Außer ein paar alten Fotos konnte er nichts entdecken. Vorsichtig nahm er einige aus dem Umschlag. Die Bilder waren alt und vergilbt. Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen hatten noch diese hellen gezackten Ränder. Auf fast allen waren Szenen eines Ausflugs zu sehen. Sie mussten Anfang der 50er Jahre gemacht worden sein. Auf den Fotos waren Männer in weiten hellen Anzügen und Frauen in geblümten Kleidern zu sehen, die übermütig in die Kamera lachten. Auf einem Bild konnte Frank im Hintergrund den Drachenfels erkennen.
    Die Schnappschüsse aus dem scheinbar unbekümmerten Leben der fremden Menschen berührten Frank auf eine ganz eigentümliche Art. Obwohl die Personen Fremde für ihn waren, lösten die Momentaufnahmen doch auf unerklärliche Weise das für Frank zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort völlig überraschende Gefühl aus, alleine gelassen worden zu sein. Er kannte ähnliche Aufnahmen aus den Fotoalben, die ihm seine Eltern hinterlassen hatten. Die Ausflugsbilder hätten auch von ihnen stammen können. Frank hielt verwirrt und überwältigt einen Augenblick inne, bevor er in Breuers Wohnung weiter nach Anhaltspunkten für die Tat suchte. Das ganze Leben dieses Toten steckte in einem

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