Maskenball
allerdings erstaunlich gut über die allgemeinen Abläufe und Vorgänge in ihrer Nachbarschaft informiert. So wusste sie zu berichten, dass die unmittelbare Nachbarin des Toten ein Verhältnis »mit einem aus dem Supermarkt« haben sollte, und dass »schon wieder jemand in der Volksbank gekündigt« haben soll.
Je länger das Gespräch dauerte, umso redseliger wurde die Rentnerin. Frank erfuhr notgedrungen ihre ganze Lebensgeschichte. Dass sie mit ihren Eltern bei Kriegsende vor den Russen aus Ostpreußen geflüchtet war und später in einem Textilbetrieb als Näherin gearbeitet hatte. Dort hatte sie auch ihren späteren Mann kennengelernt, der dort Weber war. »Der Gute, Gott habe ihn selig«, sei viel zu früh an den Spätfolgen seiner schweren Kriegsverletzung gestorben. Eine schöne Zeit hätten sie miteinander gehabt, nur das mit dem Kinderkriegen hätte nicht geklappt. Leider. Woran es gelegen hat? Nun, das wusste sie nicht zu sagen. Vielleicht am Mann, wer weiß das schon? Und dass ihre Rente nur klein sei und sie sich nicht viel leisten könne und froh sei, eine preiswerte Wohnung gefunden zu haben. Auch wenn es nicht immer leicht gewesen sei in ihrem Leben, heute könne sie sagen, dass es der »liebe Gott« gut mit ihr gemeint hatte. Auf ein paar schöne Jahre freute sie sich noch. Und Masuren würde sie nicht vermissen, in Brüggen und Umgebung sei es doch auch sehr schön.
Nur schade, dass ihr Nachbar so ein schlechter Mensch war. Oft betrunken, und immer geschimpft im Flur. Über das Leben, über Gott und den Schmutz im Treppenhaus. Aber dabei sei er doch auch nicht der Sauberste gewesen. Und wie er denn gestorben sei? Sie würde das gerne wissen wollen, denn sie hatte ja schließlich die Polizei gerufen. Weil es auf einmal so einen dumpfen Knall und ein Schieben und Scharren gegeben hatte, unter ihr. Und weil auf ihr Rufen im Flur niemand hinter der Tür von Breuer geantwortet hatte, als sie sich schließlich eine Treppe tiefer getraut hatte.
»Wie kommt es, dass Sie mitten in der Nacht Geräusche gehört haben? Es kann nicht laut in der Wohnung von Herrn Breuer gewesen sein.« Frank war müde und wollte das Gespräch mit der Frau beenden. Bislang klangen ihre Angaben nicht sonderlich hilfreich.
»Wissen Sie, Herr Kommissar, ich kann nachts schlecht schlafen. Das ist das Alter. Ich sitze dann meist im Wohnzimmer oder in der Küche und denke nach oder lese in der Bibel. Deshalb habe ich die Geräusche gehört. Bitte, das müssen Sie mir glauben, ich horche nicht an fremden Türen.«
Frank hatte sich ein paar Notizen gemacht und verabschiedete sich. »Wir melden uns bei Ihnen, wenn wir noch weitere Angaben brauchen. Wissen Sie eigentlich, wo die Tochter von Herrn Breuer wohnt?«
»Keine Ahnung, wir haben nie über diese Dinge gesprochen. Aber ich habe beide einmal auf dem Wochenmarkt gesehen. Und da hat eine Bekannte von mir, Lisbeth Krämer aus Dam, gesagt, dass die Frau irgendwo in Overhetfeld wohnt. Jedenfalls da in der Gegend, meinte sie.«
Frank war froh, als er wieder im Hausflur stand. Er ging zurück in Breuers Wohnung und suchte Ecki. Im Vorbeigehen sah Frank, dass Leenders immer noch in der Küche beschäftigt war. Ecki fand er im Wohnzimmer. Er saß in einem Sessel und blätterte in seinem Notizbuch.
»Und, erfolgreich?« Ecki sah ihn erwartungsvoll an.
»Nicht wirklich.« Frank setzte sich ächzend auf eine Sofakante. »Und du? Hat die Befragung draußen etwas gebracht?«
»Nichts Handfestes. Nur Gerüchte. Breuer war wohl nicht sonderlich beliebt. Er galt als Querulant, der meist dann unangenehm wurde, wenn er betrunken war. Er hat eine Tochter in Overhetfeld.«
»Warum kümmern sich eigentlich immer nur die Töchter um ihre alten Eltern? Bei Lisas Tante Irmchen ist das auch so. Und bei Verhoeven ist es nicht anders. Das ist doch kein Naturgesetz, oder?«
»Das hängt mit dem Pflegeinstinkt der Frauen zusammen.« Ecki machte einen unkonzentrierten Eindruck.
»Instinkt? Du meinst wirklich Instinkt?«
»Was?« Ecki blätterte immer noch.
»Schon gut. Lass uns fahren. Wir müssen Breuers Tochter noch informieren. Außerdem bin ich müde.«
Im Hinausgehen nickten sie Leenders und seinem Team zu. An der Haustür atmete Ecki tief ein und zog seine Einmalhandschuhe aus. Er legte den Kopf zurück und sah in den sternenklaren Himmel. »Ich meine, irgendjemand muss sich ja schließlich um die alten Eltern kümmern. Wer gibt seine Eltern schon gerne ins Heim?«
»Davon gibt es genug. Aus
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