Maskenball
Jude, der von Rheydt aus über Düsseldorf nach Auschwitz transportiert werden sollte, unterwegs aber hatte fliehen können, hat ohne Begründung abgesagt.
Aber auch das kann ich verstehen. Diese Menschen sind immer noch schwer traumatisiert, dass allein solche Anfragen für ein Schulprojekt sie in schwere Krisen stürzen können.« Lisa stand auf und ging in ihr Arbeitszimmer. Gleich darauf kam sie mit einem Stapel Papiere zurück, in dem sie blätterte. »Wenn ich mich nicht vertue, werden sieben Zeitzeugen kommen. KZ-Überlebende, Widerstandskämpfer und auch drei ehemalige Soldaten, die als Jugendliche zu Hitlers letztem Aufgebot gehörten und nach dem Krieg Deutschland verlassen haben. Alle bekommen natürlich die Reisekosten ersetzt und die Schule, eigentlich der Förderverein, übernimmt die Kosten für Unterkunft und Verpflegung.«
»Das ist ja, wenn man das überhaupt in dem Zusammenhang so nennen kann, eine bunte Mischung. Kommen alle aus Mönchengladbach?« Frank köpfte sein Frühstücksei.
»Das weiß ich nicht, da muss ich Leonie fragen. Nee, ich glaube, alle kommen zwar hier aus der Gegend, aber nicht alle aus Rheydt oder Gladbach. Das ist auch nicht ganz so entscheidend. Wir sind ja froh, dass Leonie überhaupt so viele Zeitzeugen aufgetrieben hat. Das ist ja mittlerweile schon ein rein biologisches Problem. Viele sind schon zu alt oder tot. Warum fragst du?«
»Nur so.« Frank stippte ein Stück von seinem Brötchen in das weiche Eigelb. »Ich kann mir gut vorstellen, dass das für eure Schüler eine spannende Angelegenheit wird, Geschichte so hautnah von Beteiligten erzählt zu bekommen.«
»Das glaube ich auch. Ich verspreche mir viel davon. Besonders auch von den sogenannten Tätern, den damals ja noch sehr jungen Soldaten, die gezwungen worden waren mitzumachen. Sie waren damals in dem Alter unserer Oberstufenschüler heute. Ich bin schon ganz gespannt auf die Diskussionen. Immerhin können unsere Kids viel lernen über Zwang und Gewalt, und über die Frage, was Gehorsam und Diktatur bedeuten kann.« Lisa war jetzt ganz Lehrerin, die ihren pädagogischen Auftrag ernst nahm. »Sag mal, hättest du etwas dagegen, wenn ich für die Dauer der Projektwoche einen oder zwei der Besucher bei mir aufnehmen würde?« Lisa sah Frank fragend an. »Das würde dem Förderverein helfen, Kosten zu sparen. Ist ja nicht für lange.«
»Warum sollte ich etwas dagegen haben? Das ist schließlich deine Wohnung. Ich denke nur, dass du dich in deinem Zustand vielleicht übernehmen könntest.«
»Übernehmen? Frank, schwanger sein ist keine Krankheit. Mach dir um mich mal keine Sorgen. Ich denke, dass ich einen der Besucher aufnehme, das reicht. So viel Platz habe ich ja nun auch wieder nicht.«
»Klar, mach das. Ich habe es ja nur gut gemeint.«
»Bist du jetzt sauer?«
»Quatsch, überhaupt nicht. Da hast du mich missverstanden.« Frank zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Wann ist denn eure Projektwoche? Ich kann mir das Datum einfach nicht merken.«
»In vier Wochen. Bis dahin«, Lisa beugte sich vor und strich Frank mit einer Hand zärtlich über die Wange, »bin ich wieder fit. Ist doch eh nur eine kleine Erkältung.«
»Das ist ja kurz nach Karneval.«
»Genau. Apropos Karneval. Gehst du mit Ecki Altweiber wieder zur Staatsanwaltschaft feiern? Oder bleibt ihr im Präsidium?«
»Das hätte ich fast vergessen. Irgendwie habe ich in diesem Jahr keine rechte Meinung zu Karneval. Nee, weiß ich noch nicht. Muss ich mal mit Ecki reden. Ich hatte den Termin glatt verdrängt. Ist aber auch kein Wunder. Im Moment weiß ich mal wieder nicht, wo mir der Kopf steht.« Nun war ihr Gespräch doch wieder bei seinen Ermittlungen angekommen, obwohl Frank sich vorgenommen hatte, das Thema nicht anzuschneiden.
»Geh ruhig, dann kommst du mal auf andere Gedanken.« Lisa überging die Bemerkung zu seinen aktuellen Fällen und nickte ihm aufmunternd zu. »Bisher habt ihr dort doch immer viel Spaß gehabt.«
»Na ja, wenn ich ehrlich bin, artet der Tag meist in ein kollektives Betrinken von Amtsträgern aus.« Die Feten im Keller der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach hatten schon eine lange Tradition und waren in Wahrheit legendär. Obwohl eine geschlossene Gesellschaft, versuchten immer wieder auch Justizfremde eine der begehrten Karten zu ergattern. Ähnlich ausgelassen ging es an Altweiber im großen Besprechungsraum im Erdgeschoss des G-Gebäudes zu. In der Vergangenheit war die Stimmung manchmal so ausgelassen
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