Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maskenball

Maskenball

Titel: Maskenball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Kuesters
Vom Netzwerk:
angegangen. Das Leben erwachte. Ein frisch gebrühter heißer Tee würde ihm jetzt guttun. Tee und ein Frühstück. Aber nur ein kleines, denn er brauchte ja nicht viel. Ein bisschen Toast, Marmelade, kein Ei.
    Er schob schwerfällig seine Arme übereinander und versuchte, die Hände vor der Kälte in den Ärmelöffnungen zu verbergen. Es gelang ihm nur ungenügend. Er fror. Er hätte doch Handschuhe überziehen sollen. Die Kälte war mittlerweile sein ärgster Feind. Er reckte das Kinn und sah wieder zum Horizont. Der Wind zerzauste sein Haar. In Wahrheit musste er niemanden mehr fürchten. Schon gar nicht das Leben.
    Nicht, dass es ihm Genugtuung bereitet hatte. Er hatte nur seine Arbeit getan, ja, seine Pflicht hatte ihn gemahnt. Seine Pflicht und seine Ehre. Er war es sich und seiner Ehre, verdammt noch mal, schuldig gewesen. Ja, so konnte man es sagen. Pflicht und Ehre. Die Worte waren für ihn ohne Pathos. Er war sich selbst gegenüber ehrlich: Es war im Grunde nur so, dass er keine anderen Begriffe kannte gegen die lähmende Ohnmacht in ihm. Gerne hätte er andere Worte gebraucht, aber er hatte nur diese beiden. Pflicht und Ehre. Sie hatten Wert. Sie hatten sein Leben bestimmt. Unablässig wie die Wellen der See.
    Sie hatten tiefe Eindrücke in seiner Seele hinterlassen, die er nicht mehr würde ausgleichen können. Es gab kein Mittel. Dazu war es jetzt zu spät.
    Das Meer hatte seine Schuhabdrücke geschluckt, dem Boden gleichgemacht. Er verlagerte sein Gewicht von einem Bein auf das andere. Kerzengerade stand er dabei da. Trotzte dem Wind und dem Geschrei der Möwen. Und seinen Gedanken. Er musste ruhig bleiben. Nichts übereilen. Die Zeit spielte für ihn. Hatte sie das nicht immer getan? Selbst Jahre waren wie unsteter Schaum, der flatternd verging. Die See berührte seine Seele. Sie zog ihn an, stieß ihn weg, ließ Raum wachsen zwischen ihm und der Pflicht. Wenigstens für eine kleine Weile. Er musste ausruhen. Unbedingt.
    Nur keine Hast, sonst würde am Ende doch noch alles misslingen. Er stand so kurz vor der Vollendung. Er durfte Gott nicht bitten um die Kraft, die er noch brauchte. Das nicht. Er würde keine Absolution bekommen, von keinem Gott. Deshalb suchte er sie im Meer und in den Wellen.
    Nun war es Zeit, ein paar Schritte zu gehen. Er brauchte die Bewegung, um wach zu bleiben. Sie fiel ihm schwer. Denn er wollte endlich Ruhe, wollte matt auf den Sand sinken. Liegen bleiben bis zur Unendlichkeit. Er musste sich sammeln für den nächsten Schritt. Er würde wieder Kraft kosten. Unendlich viel Kraft. Er war nicht gemacht für diese Arbeit. Ach, er wollte nicht klagen. Wer wurde schon geboren, dieses Schicksal auszufüllen? Wessen Bestimmung konnte es sein, diese Arbeit zu tun? Er wusste niemanden. Aber sie lohnte sich, diese Arbeit. Und es war seine Pflicht, sie zu tun.
    Schon bald blieb er stehen. Weitergehen konnte er nicht. Das Meer trennte ihn von der Seite jenseits des Felsengesteins. Zu weit ragte die See in die Bucht. Unschlüssig sah er hinauf zum Himmel. Die Sonne würde heute nicht mehr scheinen. Das war sicher. Die Möwen waren verschwunden. Im Hafen entluden sie die Schiffe vom Fang der Nacht. Die ruhelosen Gesellen würden sich dort ihren Anteil holen. Er wendete. Der Sand war nass und fest. Das Gehen machte keine Mühe, nur das Denken. Voraus sah er das blasse Licht des Leuchtfeuers. Jetzt nicht zögern. Er wusste zu genau, die Zweifel sind wie schwarze Krähen.

VI.
    Frank und Ecki warteten kurz hinter der Abfahrt der A 61 an der Ampel. Durch das dichte Schneetreiben war die Bundesstraße vor ihnen kaum zu erkennen. Rechts ging es am »Hotel zum Schänzchen« vorbei Richtung Breyell. Vor ihnen lag Boisheim.
    »Hätte nicht gedacht, dass wir so schnell wieder in der Gegend sein würden.« Ecki wischte mit einer Hand über die beschlagene Seitenscheibe, um besser sehen zu können. »So lange ist das echt noch nicht her, dass wir den Mord an Heike van den Hövel aufklären konnten.«
    »Hm, unverhofft kommt oft.« Frank hatte keine Lust auf ein Gespräch über das Drama, das sich erst vor wenigen Wochen in Breyell und Umgebung abgespielt hatte und das die beiden Ermittler – und besonders Frank – viel Kraft gekostet hatte.
    »Du bist ja sehr gesprächig.«
    »Richtig.«
    »Denkst du hin und wieder an Heike van den Hövel?«
    »Du etwa nicht? Ihr Schicksal beschäftigt mich immer noch. Bin auf den Prozess gespannt. Mal sehen, ob die Verteidigung etwas in unseren Akten findet, das

Weitere Kostenlose Bücher