Maskenball
von seinem abgemagerten Kopf. Der Mann beobachtete seinen Mitpatienten ungerührt, während er ganz leicht in seinem Rollstuhl hin und her schaukelte. Der Dritte im Bunde saß am Kopfende des Tisches und spielte selbstvergessen mit der kleinen gestreiften Blumenvase, die ohne Inhalt nutzlos vor ihm stand. In Griffweite lag ein Päckchen Tabak. Die drei nahmen keine Notiz von ihnen, als sie vorbeigingen.
Erst jetzt bemerkte Frank deutlich den Geruch, den er schon bei der Ankunft auf der Station unbewusst in sich aufgenommen hatte. Es roch nach alten Menschen, nach Inkontinenz und Desinfektionsmitteln. Ein Geruch, bei dem er sofort an die Wohnung seiner Großeltern denken musste, die er als kleiner Junge in den Ferien oft besucht hatte.
»Sterben bei ihnen eigentlich viele Patienten?«
»Gottseidank ist die Sterberate bei uns prozentual nicht höher als in anderen Kliniken. Das spricht, wenn ich mir die unbescheidene Bemerkung erlauben darf, für unsere gute Versorgung. Warum fragen Sie mich das?«
Frank blieb Fritz Theodor Hübgens die Antwort schuldig.
Der Chefarzt blieb schließlich und fast ganz am Ende des endlos langen Flurs vor einer Tür stehen. »Verhoeven hatte eines unserer wenigen Einbettzimmer. Sie können sich in aller Ruhe umsehen. Ich bin in meinem Büro, sollten Sie noch Fragen haben.« Hübgens sah Frank direkt in die Augen. »Und falls Sie es wünschen, kann ich Sie nachher kurz untersuchen.« Mit einem kurzen Kopfnicken verabschiedete sich der Mediziner von den beiden.
Das schmale, kaum acht Quadratmeter große Zimmer mit Blick auf den winterlich nassen Park war völlig unauffällig. Auf dem Nachttisch am Bett lagen zwei Apfelsinen neben einem leeren Wasserglas. Im Fach darunter stapelten sich ein paar Zeitschriften. Tageszeitungen, dazu die Zeit und der Stern. Auf dem Fensterbrett stand ein Strauß Blumen, der schon deutlich mit der trockenen und warmen Zimmerluft zu kämpfen hatten. Gegenüber dem Bett, in dem kleinen Badezimmer, fanden Frank und Ecki nicht mehr als die üblichen Waschutensilien und einen Nassrasierer. Im Kleiderschrank hingen nur wenige Kleidungsstücke. Hans-Georg Verhoeven war sicher kein vermögender Mann gewesen. Die eingenähten Schildchen mit den Markennamen der Hersteller ließen aber darauf schließen, dass Verhoeven Wert auf Qualität gelegt hatte.
»Ist dir etwas aufgefallen?« Frank schloss den weiß lackierten Kleiderschrank.
»Nee, nicht wirklich. Nur der Geruch überall. Aber sonst nichts Auffälliges. Es scheint nichts zu fehlen.« Er öffnete die Schublade des blechernen Nachtschränkchens. »Selbst seine Geldbörse, Papiere und Schlüssel sind noch da.« Er sah Frank an. »Von Raubmord kann wohl keine Rede sein. Das würde auch nicht zu der Auffindesituation der Leiche passen. Niemand, der einen Raubmord begehen will, macht sich die Mühe, sein Opfer an einen Baum zu binden und mit Waldboden und Blättern zu dekorieren.«
»Es sei denn, der Täter wollte eine falsche Spur legen.«
»Du meinst, die beschmierte Leiche soll uns von dem eigentlichen Motiv des Täters ablenken? Aber was hatte Verhoeven dann von Wert, dass einen Raubmord erklären würde? Schmuck, Gold, Aktien? Hier ist jedenfalls nichts zu finden. Das Ganze macht auf mich eher den Eindruck, als sei Verhoeven so gerade eben mit seiner Rente über die Runden gekommen.«
»Wir wissen doch noch gar nicht, ob Unterlagen fehlen. Und es muss ja auch kein Raubmord gewesen sein. Vielleicht war das Kapital Verhoevens auch ein bestimmtes Wissen, das der Täter unbedingt besitzen wollte. Das würde auch die Verletzungen erklären, an Armen und Beinen. Das sieht doch ganz nach Folter aus.«
»Was soll ein alter Mann wie Verhoeven schon Großes wissen?«
»Das werden wir schon noch herausbekommen. Wir wissen aber im Moment noch nicht einmal, ob er wirklich in Nettetal gewohnt hat, wer seine Angehörigen sind, seine Freunde, seine Feinde, was er früher von Beruf war, und, und, und.«
Es klopfte, und gleichzeitig ging die Zimmertür auf. Vor ihnen stand die junge Schwesternschülerin von vorhin. »Entschuldigung. Der Chef schickt mich. Ich soll Ihnen das hier bringen. Armer Herr Verhoeven. Er war ein netter Patient.« Sie drückte Ecki schüchtern ein Blatt Papier in die Hand.
»Danke«, Ecki sah erst auf ihr Namensschild und dann tief in ihre blaugrauen Augen, »Schwester Maike.«
Das Gesicht der blond gelockten jungen Frau lief leicht rot an. Sie sah verlegen von Frank zu Ecki. »Ich bin noch
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