Maskenspiel
Morgen falle ich in einen unruhigen Schlaf, aus dem ich gegen elf wie gerädert aufwache, weil plötzlich ein Zimmermädchen im Raum steht, das sich in gebrochenem Englisch aufgeregt entschuldigt und den Rückzug antritt.
Beim Duschen bemerke ich zwei blaue Flecke auf meinem Körper, einen an meinem Arm und einen an meiner Hüfte. Außerdem scheine ich Muskelkater an Stellen zu haben, von denen ich noch nicht einmal wusste, dass ich dort Muskeln besitze. Ich creme mich ein, ziehe mir Jeans und T-Shirt an und werfe einen Blick auf meinen Laptop, der noch am Ladekabel hängt. Vielleicht sollte ich am heutigen Sonntag wirklich Touristin spielen. Wer weiß, wie lange ich noch in London bleiben kann.
Zuerst aber rufe ich meinen Vater an, bei dem ich mich noch nicht gemeldet habe, seit ich in London bin. Seine neue Frau meldet sich, die mir mitteilt, dass er nicht zu sprechen sei. Ich bestelle Grüße und lasse fragen, ob wir uns vielleicht mal treffen können, rechne aber nicht wirklich damit, dass er sich meldet.
Den Rest des Sonntags spaziere ich durch London, an der Themse entlang bis zum Tower und wieder zurück. Sogar ein Museum besuche ich. Alles, um nicht nachdenken zu müssen. Um nicht an »das hier ist niemals passiert« denken zu müssen. Daran, wie Christopher küsst, wie sich seine Lippen auf meinen Brustwarzen angefühlt haben, wie sich Christopher in mir angefühlt hat.
Abends mache ich es mir in meinem Hotelzimmer mit meinem Laptop vor dem Fernseher gemütlich. Einen Moment überlege ich, ob ich Christophers Bild von meiner Festplatte löschen soll, aber natürlich mache ich es nicht.
Ich wünschte, es wäre schon wieder Montag, damit ich ihn endlich wiedersehen kann.
Charlie erscheint am Montagmorgen um kurz nach zehn, wirft seinen Rucksack schwungvoll auf seinen Schreibtisch und trinkt einen Schluck von dem Kaffee, den er sich anscheinend gleich aus der Büroküche mitgebracht hat. »So, in Berlin ist alles im grünen Bereich. War mit Nico am Wannsee. Und was hast du am Wochenende so gemacht?«
»Ein bisschen Shoppen, Wäsche gewaschen, und ein paar Knöpfe angenäht.« Ich kann Charlie dabei nicht in die Augen schauen.
»Klingt ja spannend«, brummelt er. »Ich hoffe, du hast auch gearbeitet. Zeig mal her, damit wir gleich nicht nackt im Meeting stehen.«
Nackt. Christopher. Ich bekomme einen Hustenanfall, der so stark wird, dass mir die Augen tränen.
»Da, trink ein Glas Wasser!« Ungeschickt drückt Charlie mir ein Glas in die Hand. »War doch nicht so gemeint! Dass ihr Briten auch immer so prüde seid.«
Das Meeting verläuft nicht gut. Natürlich habe ich meine Arbeitsaufträge nicht alle abarbeiten können, weil ich keinen Zugriff aufs Firmennetzwerk hatte, aber den Grund dafür kann ich Charlie natürlich nicht sagen. Heute Morgen habe ich als Erstes versucht, den versteckten Programmiercode wiederzufinden, aber er ist wie durch Zauberhand verschwunden.
Charlie tigert also mit hochrotem Kopf durch Christophers Konferenzraum und schiebt alle Schuld auf mich, während ich mit gesenktem Kopf danebensitze und am liebsten im Erdboden versinken würde.
»Hör endlich auf, Charlie.« Ich traue meinen Ohren kaum. Christopher, mein Ritter auf dem weißen Konferenzsessel. »Ich habe Emily den Sonntag frei gegeben, nachdem sie hier nächtelang durchgearbeitet hat. Eine überarbeitete Mitarbeiterin hilft niemandem.«
Charlie ist sichtlich aus dem Konzept gebracht. »Ach was, sie ist jung und belastbar, nicht wahr, Emily?« Das Letzte klingt wie eine Drohung. Ich nicke gehorsam. »Außerdem, Christopher, deshalb sind wir ja zu zweit hier, damit wir uns gegenseitig unterstützen.«
»Ich sehe aber nicht viel von gegenseitiger Unterstützung«, bemerkt Christopher.
»Bei Emily bekommst du mehr für dein Geld.« Ungerührt trinkt Charlie seinen Kaffee aus. »Sie ist billig.«
Mein Boss ist heute wirklich mal wieder die Peinlichkeit in Person, aber ich traue mich nicht, ihm zu widersprechen. Charlie redet ungerührt weiter: »Sie ist gerade mal zwei Jahre bei uns, da muss sie sich erst mal beweisen!«
»Aber nicht nächtelang.« Christophers Stimme duldet keinen Widerspruch. »Ich werde die Sicherheitsleute anweisen, dass sich ab 22 Uhr niemand mehr im Gebäude aufhalten darf.«
Selbstredend lässt Charlie für den Rest der Woche seine schlechte Laune an mir aus. Wir hängen dem Zeitplan hinterher, aber nachdem der hauseigene Sicherheitsdienst ihn einmal freundlich, aber bestimmt um kurz nach
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