Maskenspiel
Wollen Sie diese Sachen auch Fria Burgwart in die Schuhe schieben?«
»Ich will ihr doch nichts in die Schuhe schieben«, fuhr Ruth auf. »Aber Sie fragen uns nach unserer Meinung, also bitte, dann sage ich meine.«
Aus den Augenwinkeln sah Katinka, wie Henry noch zappeliger wurde. Er hob mehrmals sein Glas an und stellte es dann wieder ab.
»Wir wissen nicht, wer es war«, sagte er. Obwohl er sich darauf konzentrierte, bedächtig zu sprechen, hörte Katinka das feine Vibrato in seiner Stimme.
»Was denken Sie? Wer hat ein Interesse, die Dateien unbrauchbar zu machen?«
»Jemand, der will, dass das Projekt nicht so schnell zum Abschluss kommt«, mischte sich Ruth in triumphierendem Tonfall ein. »Der das Projekt als Lebenswerk sieht und deshalb zugrundegehen würde, wenn es irgendwann beendet ist.«
»Oder jemand, der Laubachs Lehrstuhl in Misskredit bringen will«, gab Henry zu bedenken.
Katinka lehnte sich zurück und betrachtet zuerst Henry, dann Ruth intensiv. Ruth wandte ihren Blick schnell ab und rührte in ihrem Kaffeeglas, dass es nur so spritzte. Ihr Kommilitone dagegen erwiderte zunächst Katinkas Blick, sah dann zu Ruth, als wolle er ihre Aufmerksamkeit erregen.
»Sie sprechen beide in Rätseln«, sagte Katinka. Allmählich schwoll ihr der Kamm. »Wer sieht denn nun das bedeutende Projekt als sein Lebenswerk? Ich nehme an, Laubach selbst?«
Mist, dachte sie im Stillen. Ich bin einen halben Tag unter Unileuten, und schon kann ich mein Temperament nicht mehr zügeln.
»Fria!«, knurrte Ruth und trank den Rest Milchkaffee aus.
»Wir wissen wirklich nichts, Frau Palfy«, sagte Henry rasch. Immer wieder suchte er Ruths Blick, aber sie reagierte nicht.
»Wir können Ihnen nicht die richtigen Antworten geben, schätze ich«, sagte Henry stockend. »Wissen Sie, wir sind unsere vier bis sechs Stunden pro Woche am Lehrstuhl. Mehr haben wir laut Vertrag ja nicht abzuleisten, und das machen wir üblicherweise vormittags. Nur, wenn besondere Treffen anberaumt sind, kommen wir am Nachmittag.«
»Eben«, bestätigte Ruth und kramte ihr Portemonnaie hervor. Es bestand aus dickem pinken Filz mit einer orangenen Blume drauf.
»Nehmen Sie beide denn an den Freizeitaktivitäten des Lehrstuhls teil?«, fragte Katinka und winkte der Bedienung.
»Klar!«, sagte Ruth schlicht.
Auch Henry klappte seine Aktentasche auf, um seinen Geldbeutel herauszuholen.
»Was passiert denn da so?«
»Och, an den Abenden sitzen wir nur so zusammen und trinken ein Bier oder essen Pizza. Herr Laubach kommt auch meistens dazu«, ließ Ruth sich zu einer etwas ausführlicheren Erklärung hinreißen. »Dann gibt’s regulär noch ein Sommerfest und eine Weihnachtsfeier.«
»Ich nehme nicht so oft teil«, sagte Henry beinahe schüchtern und legte fünf Euro neben sein leeres Weizenglas.
»Ach nein?«
Katinka beobachtete, wie Ruth unruhig mit den Füßen scharrte.
»Ich spiele Schafkopf mit Freunden, jede Woche, und dann mache ich auch viel Sport. Dadurch habe ich nicht so viel Zeit.«
Katinka nickte, zahlte ihren Milchkaffee und sagte:
»Danke. Ich melde mich noch mal bei Ihnen.«
»Noch mal? Warum denn das?«, fauchte Ruth, aber Henry stieß sie an.
Katinka verließ das Orlando und schloss ihr Fahrrad auf. Sie schob es ein Stück in die Austraße und sah dann zurück. Ruth und Henry traten in eine Diskussion vertieft aus dem Café. Offenbar musste Ruth ihren Zorn an Henry auslassen, denn sie redete heftig auf ihn ein und gestikulierte so wild, dass ihr der Rucksack von der Schulter rutschte. Katinka befestigte das Fahrradschloss wieder. Es war keine Kunst, den beiden hinterherzugehen. Sie schob sich mit hundert anderen durch den schmalen Seiteneingang der U 5. Das Reden, Rufen und Lachen um sie her schmolz zu einer bedrängenden Geräuschkulisse. Katinka wühlte ihre Sonnenbrille aus dem Rucksack, obwohl sie sich dabei ziemlich dämlich vorkam. Henry und Ruth gingen durch den Gang zum Sprachlabor, bogen sie um die Ecke ins Treppenhaus und stellten sich wartend vor den Fahrstuhl. Atemlos blieb Katinka im Gang stehen. Niemand achtete auf sie. Auf dem schwarzen Brett prangte in exponierter Position ein gelbes Plakat mit der Aufschrift:
Prof. Dr. Milo Laubach und Mitarbeiter laden ein zum Symposion mit dem Thema: ›Santiago und die Folgen – Pilgerreisen als Wirkkräfte sprachlicher Einflussnahme.‹ 2. und 3. Mai, An der Universität 5, Raum 222.
Sieh einer an, dachte Katinka und konzentrierte sich wieder auf die beiden
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