Maskenspiel
Hiwis.
»Das war viel zu aufgesetzt«, hörte sie Henrys Stimme. »Die Palfy denkt doch nie im Leben, dass wir das waren.«
»Scheiß Aufzug«, schimpfte Ruth. »Aber du warst zu zögerlich, hast du das nicht gemerkt? Warum soll man nicht sagen, wen man in Verdacht hat, wenn man schon danach gefragt wird?« Katinka tat, als fände sie großen Gefallen an einer Vortragsankündigung zum Thema Poetik der Evolution und Evolution der Poetik aus der Sicht strukturalistischer Literaturtheorie , die verschämt ganz rechts unten an das Brett gepinnt war. Eine Traube schwatzender Studentinnen wogte an ihr vorbei.
»Vor allem«, machte Ruth weiter, »wenn man …«
»Halt die Klappe!«, warnte Henry, und seine bisher so angenehme Stimme klang mit einem Mal scharf. »Da kommt der Fahrstuhl.«
Die beiden traten in den Lift. Katinka hörte, wie sich die Tür schloss.
Zwanzig Minuten später saß Katinka mit ihrer Freundin Britta Beerenstrauch auf der Oberen Rathausbrücke im Café Cador .
»Glück muss der Mensch haben«, freute sich Britta. »Hier im Freien kriegt man ja sonst kaum einen Platz. Bei dem Sonnenschein! Einfach herrlich.« Wie immer war sie schick angezogen, mit Leinenhose in Olivgrün, weißer Tunika und einem Seidenschal in schreiendem Orange, der ihre schwarzen Haare und dunkelbraunen Augen zum Strahlen brachte. Voller Appetit stürzte sie sich auf die Speisekarte.
»Es gibt hier so viele Kaffeespezialitäten, dass ich nie weiß, was ich nehmen soll!«, verkündete sie fröhlich. »Gut, dass du angerufen hast.«
Katinka warf seufzend einen Blick auf ihren schlabberigen Baumwollpulli und die Jeans, für die die Bezeichnung schlicht noch lobhudelnd gewesen wäre. In Modefragen schlug Britta sie um Längen. Katinka schaffte es einfach nicht, sich morgens in Schale zu werfen, sondern griff meistens zu den alten, ausgeleierten Jeans und irgendeinem Oberteil. Dabei wäre sie durchaus gerne etwas flotter gekleidet, auch, um etwas für ein seriöses Auftreten zu tun. Sie sah auf die Uhr. Es war beinahe drei.
»Irgendwas Essbares muss ich mir jetzt auch zwischen die Kiemen schieben«, seufzte sie. »Britta! Ich habe einen Fall!«
»Nein! Geil!«, rief Britta so laut, dass mehrere Leute an den Nachbartischen zu ihnen herüberschauten. »Erzähl mir gleich alles: Wo ist die Leiche?«
Britta arbeitete als Lokalredakteurin beim Fränkischen Tag, den die Bamberger so gerne Eff Dee nannten, weil sie mit dem T auf Kriegsfuß standen. Mit einer anderen Tageszeitung konnte die Stadt nicht aufwarten. Britta kannte eine Unmenge Leute in Bamberg und Umland, hörte die Flöhe noch viele Meter unter der Erde husten und leckte sich die Finger nach Neuigkeiten aller Art. »Es ist gar nicht so einfach, jeden Tag eine fertige Zeitung auf den Tisch zu legen«, pflegte sie zu sagen. »Und wer von unseren Lesern weiß das schon zu schätzen.«
Britta hatte Katinka in den vergangenen Monaten, in denen sie abwartend in der Detektei hatte sitzen müssen, mehrfach vorgeschlagen, sie in ihren Ermittlungen zu unterstützen, sofern sie die Exklusivrechte auf die Story bekam, wie sie grinsend hinzufügte.
»Es gibt leider keine Leiche«, antwortete Katinka und musste über sich selbst lachen. »Du liebe Zeit, was rede ich.«
»Sondern? Geiselnahme, Raubmord, Umweltskandal, Baubetrug?«
Katinka, die seit ihren ersten praktischen Erfahrungen bei Julius Liebitz wusste, dass die meisten Fälle nichts Spektakuläres an sich hatten, zuckte die Schultern. »Alles falsch, Britta. Ich bin wieder in der Uni gelandet.«
Britta tastete nach den roten Gauloises in ihrer XXL-Kuriertasche. Sie schüttelte eine hinaus, griff nach dem Feuerzeug und inhalierte tief den Rauch. »Also, erkläre dich mal ein bisschen genauer. Ich war nämlich gerade beim Trachtenverein in Forchheim, und jetzt kann ich mein Hirn nicht schon wieder auf Superleistung hochfahren.«
»In der Uni, am Lehrstuhl von Professor Laubach, verschwinden auf geheimnisvolle Weise Dinge«, begann Katinka und berichtete Britta die wesentlichen Fakten. Britta sah sie konzentriert an und rauchte voller Ernst ihre Zigarette.
»Das Eigenartige ist nur«, seufzte Katinka, »dass ich mir auf die Geschichte keinen Reim machen kann. Wahrscheinlich fehlt mir die Distanz zum Milieu. Ich werde den Fall zurückgeben.«
»Bist du jeck?«, rief Britta. »Kommt nicht in die Tüte. Jetzt, wo du ihn hast, wirst du ihn auch lösen. Mach dir keine Gedanken, dass es noch keine Leiche ist, sondern nur
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