Maskenspiel
kurz vor dem ultimativen Riss. Immer wieder driftete ihre Aufmerksamkeit ab.
Helena räusperte sich und sagte laut zum Auditorium:
»Ich glaube, wir sollten diese Entscheidung doch korrigieren. Ich …«
Laubach unterbrach sie, und Katinka verspürte mit einiger Überraschung seine Autorität.
»Frau Burgwart, darf ich Sie bitten!«
Fria stand zitternd auf. Ihre Hände fuhren zu ihren zurückgebundenen Haaren. Dann zuckte sie zusammen, anscheinend verursachten ihr die Stichverletzungen immer noch Schmerzen. Sie schob ihren Stuhl zurück, nahm ihre Unterlagen auf und ging zu dem Referentenstuhl neben Laubach. Lisbeth Frinke-Laubach starrte sie kalt an. Katinka sah in ihren Gedanken die Abscheu vor Frias ungepflegtem Äußeren, den vernachlässigten Haaren und der tristen Garderobe. Doch Fria setzte sich nicht, sondern blieb stehen und betätigte den Laptop. Der Beamer warf zuerst die Windows-Oberfläche an die Wand, dann erschien Frias Thema in schön geschwungener Schrift und unterlegt von einem Foto an der Wand.
Fria Burgwart begann zu sprechen. Höchst erstaunt lauschte Katinka. Fria entwickelte tatsächlich Temperament, ihre Stimme klang tiefer und sicherer als sonst, und ihre ganze Körpersprache vermittelte Souveränität. Verblüffend, dachte Katinka. Wie verändert sie ist! Eine geheimnisvolle Macht schien Fria wie auf Knopfdruck zu verwandeln. Katinka musste sich zusammenreißen. Mit einem Ohr hörte sie Frias Vortrag zu, den sie, wie sie zugeben musste, tatsächlich interessant fand. Frias Stimme klang so viel lebendiger als sonst durch den Raum, ihre ganze Art fesselte den Zuhörer. Gleichzeitig beobachtete Katinka die Leute vom Lehrstuhl. Zeitweilig bemerkte sie, wie auch Uttenreuther Helena und Montfort musterte. Carsten Stielkes Gesichtsfarbe wechselte zu einer Art Grün, und Montfort fühlte sich in seinem Anzug völlig derangiert. Helena starrte unbeweglich auf die Papiere vor ihr. Alle drei lauschten mit zunehmend entsetzten Mienen, während Elfi Lodenscheidt zwar neugierig, aber nicht im Mindesten irritiert zuhörte.
Katinka suchte Brittas Blick. Sie blinzelten einander fast unmerklich zu.
Als Fria geendet hatte, mit einem Knopfdruck den Beamer abstellte und das Auditorium auf die Tischplatten klopfte, stand Carsten Stielke auf. Er schwankte für einen Augenblick.
Katinka rechnete damit, dass er umfallen würde, doch er fing sich und stürzte zur Tür. Ohne Zögern sprang Katinka von ihrem Stuhl hoch und lief ihm nach. Erstauntes Gemurmel war im Tagungsraum zu hören, bis die schwere Tür ins Schloss fiel. Stielke rannte durch den Gang und um die Ecke. Katinka war dicht hinter ihm. Sie hörte, wie die Tür wieder aufging, achtete aber nicht darauf. Vielleicht einer von Uttenreuthers Leuten, dachte sie.
Stielke stieß hektisch die Tür zur Herrentoilette auf. Katinka lief ihm nach. Sie beobachtete, wie er sich an einem der Pissbecken festhielt und sich die Seite hielt.
»Herzprobleme?«, fragte sie.
Stielke fuhr herum. Für einen kurzen Moment überfiel Katinka der Gedanke, er könne tatsächlich einen Infarkt erleiden, so käsig sah er aus, doch dann erkämpfte er sich seine Akademikermiene wieder und sagte so würdevoll er konnte:
»Das ist eine Herrentoilette.«
»Wieso haben Sie mir das Märchen von Timo Riemenschneider erzählt?«, fragte Katinka und trat näher. Stielke wich zurück.
»Das … ist ein Freund von mir.«
»Irrtum. Sie haben mir Ihre eigene Handynummer gegeben. Und wenn Sie meine Nummer auf Ihrem Display aufleuchten sahen, nahmen Sie das Gespräch einfach nicht an!«
Stielke erstarrte, dann drehte er sich um und verschwand in einer der Kabinen. Die Würgegeräusche, die er von sich gab, wurden übertönt von einem sonoren, ganz sacht französisch klingenden »Was wollen Sie hier?«
Katinka fuhr herum und starrte Montfort an. Verdammt, wo steckte Hardo? Kam er nicht auf die Idee, einen seiner Beamten nach dem Rechten sehen zu lassen?
»Sie kommen sich sehr klug vor, Mademoiselle«, sagte Montfort und klang nun nicht mehr jovial. Den Gemütsmenschen hatte er abgelegt, stattdessen schwamm ein listiger, Unheil verkündender Ausdruck auf seinem Gesicht.
»Sie brauchen gar nicht nach Ihrer Waffe greifen«, sagte er, und ohne die leiseste Vorwarnung hatte er Katinka schon in den Schwitzkasten genommen und rupfte an dem Halfter herum, in dem ihre Beretta steckte.
»Scheiße!«, schrie Katinka wütend. Montfort ließ sie los. Sie blicke in die Mündung ihrer eigenen
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