Maskenspiel
an, wenn Männer Frauen nur mit dem Nachnamen anreden, dachte Katinka, und im gleichen Moment wurde sie sich bewusst, dass etwas Ungewöhnliches geschehen war.
»Sollen wir einen Arzt rufen?«, fragte eine Stimme, die Ka-tinka vage bekannt vorkam.
»Nein«, sagte sie sicherheitshalber. »Aber lüften sollte mal jemand.«
»Können Sie aufstehen? Hier ist nicht mehr viel mit Lüften«, erwiderte Uttenreuther. Katinka sah sich um. Direkt neben ihr häuften sich Reste eines Mittagessens, das den Rückweg eingeschlagen hatte.
»Ach du Schande«, flüsterte Katinka. Mit aller Macht kämpfte sie gegen den Würgereiz, der sie überfiel wie ein Attentäter. Schlagartig kam die Erinnerung an Stielkes Kotzattacken zurück.
Uttenreuther und ein Mann, den Katinka nicht kannte, packten sie unter den Achseln und hievten sie hoch.
»Au!«, schrie Katinka und knickte seitwärts ein.
»Was ist?«
»Das tut gemein weh«, flüsterte Katinka und fasste sich an die Seite.
»Kommen Sie raus.«
Mit schmerzverzerrtem Gesicht ließ sich Katinka aus der Männertoilette schleppen. Draußen standen eine Menge Leute mit verwirrten und entsetzten Gesichtern.
»Lasst mich bloß alle in Ruhe«, murmelte Katinka und starrte zu Boden. Eine Frau löste sich aus den Reihen der Neugierigen und sagte:
»Ich habe mein Dienstzimmer gleich hier. Bringen Sie sie doch dort hinein.«
Sie klapperte mit einem Schlüssel, und Augenblicke später fand sich Katinka auf einem weichen Stuhl sitzend.
Harduin Uttenreuther nahm ihr gegenüber Platz.
»Ist alles in Ordnung?«
»Nein«, sagte Katinka. Gerade machte sich die Erinnerung bemerkbar … Montforts brutaler Ausdruck, und das Gewicht seiner Hand auf ihrem Hals. Unvermittelt betastete sie ihre Kehle. »Wo ist Montfort?«
»Einkassiert.«
Harduin musterte Katinka aufmerksam.
»Er … er hatte meine Waffe!«
»Sichergestellt.«
»Gott sei Dank.«
Katinka musste ihre Gedanken erst gut sortieren, bevor sie fragte:
»Wie haben Sie … mich da rausgekriegt? Wieso hat er mich nicht erschossen?«
»Das verdanken Sie dem Hänfling«, sagte er.
»Stielke?«
»Richtig. Er kotzte direkt auf Montforts Schuhe. Das hat ihn einen kurzen Moment lang abgelenkt.«
»Aber … er hat doch geschossen?«
»Ja, aber vermutlich mehr vor Schreck«, sagte Uttenreuther. »Außerdem nicht in Ihre Richtung. Die Uni wird das Klo renovieren müssen, aber passiert ist niemandem etwas.«
»Uff«, machte Katinka. Plötzlich hatte sie das Gefühl, der Boden würde unter ihren Füßen weggezogen. Das Büro, in dem sie saß, wirbelte in einem Affenzahn um sie herum.
»Sollen wir einen Arzt holen?«
Katinka hörte nicht hin. Sie kämpfte sich aus dem Schwindel, der sie trieb, an die Oberfläche und fragte:
»Und Helena? Haben Sie die?«
»Sie ist weg!« Uttenreuther biss die Zähne fest zusammen, als er das sagte. Er war kaum zu verstehen. Blass vor Wut stierte er auf ein Plakat an der Wand, das Picassos Don Quijote zeigte.
»Weg?«
Uttenreuther stand auf und presste ein »Ja« hervor.
»Das gibt’s doch nicht!«, rief Katinka und stand ebenfalls auf, doch sie stürzte sofort vornüber und konnte sich gerade noch am Schreibtisch festhalten. Uttenreuther war sofort bei ihr und hielt sie fest. Seine Hände sahen noch riesiger aus, wie sie auf Katinkas Armen lagen.
»Vorsicht, Mädchen«, sagte er. Katinka wollte pflichtbewusst die Augen verdrehen, doch sie ließ es bleiben und stöhnte vor Schmerz.
»Ich glaube, Montfort hat mir eine Rippe zerdrückt«, sagte sie und fasste sich an die Seite. Sie holte tief Luft und zuckte zusammen.
»Jemand bringt Sie zum Arzt«, sagte Uttenreuther, doch Ka-tinka machte sich los und fragte:
»Und Fria Burgwart? Elfi Lodenscheidt? Die Sekretärin? Stielke?«
Uttenreuther presste die Lippen zusammen, ehe er zugab:
»Burgwart ist auch verschwunden.«
»Wie konnte das passieren!« Katinka ignorierte den Schmerz und fuhr fort: »Fria und Helena, beide? Ich dachte, Ihre Leute sind vor Ort.«
Uttenreuther explodierte. Katinkas Vorwurf ließ seine mühsam aufrechterhaltene Contenance zusammenbrechen. Seine Geduld mit sich selbst und seinen Beamten war am Ende.
»Verdammte Scheiße«, schrie er. »Reiben Sie es mir nicht noch unter die Nase! Die beiden Damen haben sich bei der ganzen Aufregung um Sie und Montfort aus dem Staub gemacht, heimlich, still und leise. Erklären Sie mir mal lieber, wie Montfort in den Besitz Ihrer Waffe kam.«
»Er hat sie mir abgenommen«, gab Katinka zu
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