Maskerade
so schnell wie möglich auf gute Beziehungen mit den Turners umzuschalten, aber Melanie hatte das einfach nicht fertiggebracht. Sie wußte auch nicht recht, warum es ihr so ging, aber immer wenn ihr die junge Nachbarin auf dem Fahrrad entgegenfuhr, bog sie schnell um eine Ecke, um ihr nicht begegnen zu müssen. Ihr war, als hätten Turners Melanies Familie lächerlich gemacht. Melanie war sich sehr wohl all der Opfer bewußt, die ihre Eltern hatten bringen müssen, um eines der teuersten Häuser in Manor kaufen, dem Country Club beitreten zu können und dergleichen Extravaganzen mehr. Vater hatte sogar ein Darlehen auf seine Lebensversicherung genommen. Sie wußte das alles, weil sie so oft mit angehört hatte, wenn ihre Eltern sich unterhielten. Turners hätten sich mühelos all das leisten können, aber sie legten offenbar keinen Wert darauf. Die snobistischen Maßstäbe, nach denen ihre Familie lebte, erschienen dadurch plötzlich protzig und unecht.
Liz war den Turners ähnlich. Sie hatte Melanie als beste Freundin abgelehnt und befaßte sich statt dessen mit Penny, die etwa so anregend aussah wie eine Schüssel aufgewärmter Haferflockenbrei mit Klumpen drin. Liz mußte also in Penny etwas sehen, das sie an Melanie vermißte und das wichtig genug war, um sie Melanie vorzuziehen. Melanie kam sich dadurch schwach und unsicher vor, und sie haßte dieses Gefühl. Ihr war hilflos und ängstlich zumute wie so oft, wenn sie abends im Bett lag und hörte, wie ihre Eltern sich über unbezahlte Rechnungen stritten. Erfahrungsgemäß wurde das Geld zwar immer irgendwie zusammengekratzt, aber die Anstrengung dabei ließ ihren Vater von Mal zu Mal etwas grimmiger dreinschauen und verlieh dem Gesicht ihrer Mutter einen Zug von Härte. Melanie sah in ihrer Phantasie eine Art symbolisches Bild von Glendale Manor : Es war wie ein hoher Felsen, und die Bewohner — ausgenommen die Familie Prill — sonnten sich auf dem Gipfel dieses Felsens, lächelnd und ausgeruht und stets heiter. Irgendwo dicht unter diesem begehrenswerten Gipfel, in der Nähe, aber noch nicht ganz oben, klebten die Prills in den Klippen über dem Abgrund und krallten sich, um das nackte Leben kämpfend, an der scharfen Felswand fest. Jeden Augenblick konnten sie in die Schlucht zurückfallen, die unter ihnen gähnte. Einmal in der Nacht, als es gerade wieder einen Krach wegen des Geldes gegeben hatte, konnte Melanie schier körperlich fühlen, wie ihre Hände sich an das bröckelige Gestein klammerten und von Minute zu Minute hoffnungsloser ermüdeten; sie spürte, daß alles um sie her bröckelte. Sie rutschte und schrie. Und dann wachte sie weinend auf und merkte, daß es nur ein böser Traum gewesen war. Am nächsten Tag war sie dann gleich in die Stadt gegangen und hatte sich etwas Neues und sehr Teures gekauft. Das war das einzige Mittel, um die Angst zu überwinden, die der gräßliche Traum in ihr zurückgelassen hatte.
Sie wollte für ihr Leben gern mit Liz Freundschaft schließen, aber weil Liz sie nicht anerkennen wollte, wurde ihr Wunsch, Liz weh zu tun, fast ebenso stark wie der nach Freundschaft. Melanie fiel von einem Extrem ins andere, und dabei sehnte sie sich immer mehr nach Hause zurück, wo die Beziehungen der Menschen untereinander weniger kompliziert waren und man sich dadurch einigermaßen sicher fühlen konnte.
10. KAPITEL
Cara beobachtete die wechselnden Beziehungen der jungen Mädchen untereinander im dritten Stockwerk zunächst amüsiert, doch mit der Zeit regte sich bei ihr immer mehr die Neugier. Für sie war es nicht überraschend gewesen, daß Liz und Melanie sich gleich am ersten Tag einander angeschlossen hatten, denn in Caras Augen waren sich die beiden ähnlich. Was sie vielleicht voneinander unterschied, schien ihr rein äußerlich und unwesentlich zu sein. Sowohl Melanie als auch Liz hatte das Glück gehabt, in eine finanziell und gesellschaftlich gesicherte Welt hineingeboren zu sein, die ihnen einen festen Boden unter den Füßen gab, und außerdem waren sie beide ausgesprochene Schönheiten. Aus diesen Gründen war es für Cara selbstverständlich, daß die beiden sich schon bald von den andern Mitschülerinnen absondern würden. Die einzigen Sorgen, die sie natürlich sehr ernst nahmen, drehten sich wohl darum, welches Kleid man zur nächsten Verabredung anzog und was für eine Frisur dazu paßte. Die beiden würden das ganze Schuljahr über auf ihrer seligen Insel sitzen und sich isolieren. Dieser Eindruck schien
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