Maskerade
sei bereits Tradition geworden, habe ich mir erzählen lassen. Die Schülerinnen reichen ihre Entwürfe ein, und wenn ein Modell Anklang gefunden hat, müssen sie es für diese Modeschau selbst schneidern. Warum probierst du es nicht und reichst der Jury eine Skizze dieses Kleides ein, Liz?“
„Hm“, überlegte Liz, „ich tu’ es vielleicht, wenn Penny nichts dagegen hat.“
„Ich, etwas dagegen haben?“ Penny stieß ein kleines verlegenes Kichern aus. „Natürlich nicht!“
„Wenn es genommen wird, könnte ich es vorführen“, bot sich Melanie erneut an und beobachtete scharf Liz’ Reaktion darauf, die aber nur lächelte und dann sagte: „Ich glaube, einstweilen brauchen wir uns noch keine grauen Haare wegen der Wahl eines Mannequins wachsen zu lassen.“
„Aber wenn man es wählt?“ beharrte Melanie. „Ich finde es toll schick. Das weißt du ja auch selbst!“
Cara betrachtete Melanie von Kopf bis Fuß und sah dann weg. Sie hatte in ihrem Leben bereits Dutzende von Melanies erlebt; dadurch daß sie andere erniedrigten, fühlten sie sich selbst groß und erhaben. Andererseits aber war Melanies Charakter so klar Umrissen, daß Cara bei ihr kaum auf Überraschungen gefaßt sein mußte und daher wohl auch nicht durch sie verletzt werden konnte. Wenn Melanie je entdecken sollte, wer Cara wirklich war, würde sie aus ihrer Meinung bestimmt keinen Hehl machen. Gefährlich waren die andern, jene, die sich bemühten, nett und freundlich zu sein, wie eben Liz, die oft ungewollt grausam wirkte. Sie bemühten sich so eifrig, sich kameradschaftlich und vorurteilslos zu geben, daß man sich gerade dadurch unbehaglich fühlte. Liz wäre es entsetzlich peinlich, wenn sie Caras Geheimnis erführe. Sie benähme sich dann besonders vorsichtig, um Cara nicht zu verletzen. Sie verhielte sich vermutlich so, als litte Cara an einer ekelerregenden Krankheit, die man übersehen mußte.
„Wenn es je soweit kommt, dann reden wir noch einmal darüber“, unterbrach Liz ihre Gedanken. Sie sprach jetzt wieder von Pennys Kleid.
Melanie gab mit Anmut auf. Sie nickte, gewährte dem Modell einen letzten gnädigen Blick, gähnte dann und verabschiedete sich. „Ich muß meine Fingernägel noch lackieren“, entschuldigte sie sich, „es dauert endlos, bis sie trocken sind. Gute Nacht!“
„Gute Nacht!“ erwiderte Cara höflich.
Sie verfolgten zu dritt das Ticke-Tacke der Absätze von Melanies Pantöffelchen auf dem Flur und warteten, bis die Tür hinter ihr zugeklappt war.
Dann wandte sich Liz an ihren Schützling: „Penny, mach dir absolut nichts aus all dem, was sie sagt und tut. Wenn irgend etwas Erfreuliches mit diesem Kleid passieren sollte, dann nimmst du doch wohl nicht an, daß ich es von Melanie vorführen ließe?“
Penny war überrascht. „Ehrlich gestanden, Liz, mir ist es egal.“
„Es sollte dir aber nicht egal sein! Schließlich habe ich es für dich entworfen, es ist dein Kleid, und es hat absolut nichts mit Melanie zu tun. Nichts! Es paßt nicht zu ihrem Typ und wäre ihr außerdem zu kurz und zu eng. Da nun aber schon die Frage angeschnitten ist, wer das Kleid vorführen soll, so rate ich dir, ab heute deine Haare wachsen zu lassen.“
„Meine Haare?“
„Ja, und zwar darum,weil eine Dauerwelle nicht das Richtige für dich ist. Dein Haar ist zu fein, um die Krause zu halten, und zu diesem Kleid sollte es völlig glatt sein; nur unten würde ich es eindrehen. Und sehr gut gebürstet muß es sein, und viel Glanz muß es haben!“
„ Wie ,Alice im Wunderland’?“ fragte Cara und wunderte sich selbst, daß sie so interessiert allem folgte.
„Ja, ganz so wie die kleine Alice in den Bilderbüchern“, bestätigte Liz mit Begeisterung. „Du hast ein rundes Gesicht, und die Frisur würde dir ausgezeichnet stehen.“
Cara mußte über den Ausdruck auf Pennys Gesicht lachen. „Aber ich sehe ohnedies schon viel zu jung aus!“ jammerte sie. „Du mußt etwas aus dem machen, das dir gegeben ist.“ Liz war unerbittlich. „Nachdem du nun einmal diese Gesichtsform hast, läßt sich das nicht ändern, aber du kannst sie gestalten. Und außerdem werden wir dir Bücher auf den Kopf packen!“ Sie wandte sich an Cara: „Du hilfst uns, willst du? Melanie soll nicht sagen können, Penny sei als Mannequin ungeeignet.“ Cara zögerte. Sie fand es sehr schwer, Liz nicht zu mögen. Zwar mochte Liz fremd sein in jener Welt, in der Cara lebte, aber ihre Großzügigkeit und Freundlichkeit wirkten gewinnend.
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