Mass Effect 02 - Der Aufstieg
lang an. Dann atmete er langsam aus. Das machte er rein instinktiv. Eine Übung, um sich zu beruhigen und seinen Geist zu fokussieren, verwurzelt in Jahren biotischen Trainings. Noch ein tiefer Atemzug, und die Welt um ihn herum stabilisierte sich immer mehr.
Er lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden. Jeder Muskel in seinem Körper brannte. Er fühlte sich erschöpft und völlig erledigt.
Er hat dich mit einem Stürmer erwischt. Der Hurensohn hat dich mit einem Stunner erwischt.
Die Worte waren seine, aber die Stimme in seinem Innern war die seines ersten Ausbildungsoffiziers in der Grundausbildung. Wann immer er in seiner Zeit in der Allianz gezweifelt hatte, bei einem Zwanzig-Kilometerlauf an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit getrieben worden war oder nach Stunden des biotischen Trainings einfach nicht mehr weiter konnte, hörte er diese Stimme, die ihn gnadenlos antrieb. Aber jene Tage waren vorbei. Er war nicht mehr dabei. Er war kein Soldat mehr.
Erzähl mir keinen Scheiß! Einmal Soldat, immer Soldat! Jetzt setz deinen faulen Hintern in Bewegung!
Irgendwie fand er die Kraft, sich auf Hände und Füße hochzuziehen. Und da sah er Gillian. Sie lag immer noch im Gras, aber sie zuckte nicht mehr. Sie rührte sich überhaupt nicht. Sie atmete nicht mal mehr.
Er drückte den Notfallknopf an seinem Gürtel. Sicherheitsteams und Mediziner würden unverzüglich hier auftauchen. Die vorgesehene Reaktionszeit bis zum Wasserfall betrug sieben Minuten.
Zu langsam. Sie kann nicht so lange warten.
Er kroch auf Gillian zu, seine Muskeln brannten vor Schmerz, er war zu schwach, um auch nur zu versuchen aufzustehen.
Jiro fluchte obszön in seiner Muttersprache und verdammte die dornenbesetzten Äste, die auf dem Weg durch den Atriumwald an seiner Kleidung rissen. Aber er blieb nicht stehen. Er wusste nicht, wie lange Hendel außer Gefecht gesetzt sein würde. Außerdem musste er einen Weg von der Station finden, bevor der Sicherheitschef wieder aufwachte.
Ein Notfallshuttle lag an der Landebucht, das konnte ihn mit runter auf die Planetenoberfläche nehmen. Wenn er sich eine gute Ausrede ausdachte, konnte er den Piloten vielleicht einwickeln oder bestechen. Falls das schiefging, musste er das Shuttle kapern oder stehlen. Es war ein verrückter, verzweifelter Plan. Aber er war auch ein verzweifelter Mann. Von dem Moment an, als Hendel ihn auf der Lichtung entdeckt hatte, wusste er, dass seine einzige Option die Flucht von der Station war.
Er stürmte aus dem Unterholz auf einen der Laufwege, weniger als fünf Meter vom Ausgang entfernt. Er bemerkte Kahlee nicht, die ein Stück entfernt stand, bis sie ihn anrief.
„Jiro? Was ist denn mit dir passiert?“, fragte sie und kam über den Pfad auf ihn zu.
Sie schaute mit wachsamer Neugierde auf sein zerrissenes Hemd, die Kratzer auf Gesicht und Händen, die Beule an seinem Kopf, wo Hendel ihn mit dem Ellbogen erwischt hatte.
„Jiro“ sagte sie mit strenger Stimme. „Ich will Antworten. Wo ist Hendel?“
„Woher soll ich das wissen“, erwiderte er und lachte. „Er ist doch dein Freund, oder?“
Wenn sie auch nur noch ein Stückchen näher kommen würde, konnte er sie vielleicht packen und überwältigen, bevor sie in der Lage war, Hilfe zu rufen. Stattdessen blieb sie außerhalb seiner Reichweite stehen.
„Du hast Gillian aus ihrem Zimmer ausgetragen. Wo ist sie?“
Als er den Vorwurf in ihrer Stimme erkannte, wusste er, dass er sich hier nicht herausreden konnte.
„Geh mir aus dem Weg“, sagte er kalt und ließ seine Maske fallen. „Oder ich muss dir wehtun.“
„Du gehst nirgendwo hin“, sagte sie und nahm Kampfhaltung an. „Nicht, bevor ich nicht weiß, was hier vor sich geht.“
Schnell versuchte Jiro, die Situation einzuschätzen. Er hatte die Auswirkungen seines Kampfes mit Hendel abgeschüttelt, er war jung, fit, und er war gut fünfundzwanzig Kilo schwerer als Kahlee. Er wusste, dass sie eine Kampfausbildung beim Militär absolviert hatte, aber er vermutete, dass die Chancen trotzdem gut für ihn standen. Er lächelte, zuckte die Schultern und gab vor aufzugeben. Dann sprang er sie an.
Er hatte gehofft, sie zu überraschen, aber sie war auf den simplen Trick nicht hereingefallen. Stattdessen traf sie ihn mit einem harten Tritt am Knie. Ihm blieb die Luft weg, und sein Faustschlag ging ins Leere. Er wirbelte herum und wollte sich erneut auf sie stürzen.
Doch die Chance dazu bekam er nicht. Kahlee warf sich nach vorn, und er duckte
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