Massiv: Solange mein Herz schlägt
zu, die Rolle eines Polizisten zu spielen. Ich freute mich und dachte, unglaublich, einer der bekanntesten Rapper Deutschlands hatte sich bei mir gemeldet, und ich konnte ihn für mein erstes Video gewinnen. Ich wusste, es war an der Zeit, einen Clip zum Ghettolied zu drehen, bevor der Hype um den Song und die Spannung um die Person dahinter abflauten. Zu diesem Zeitpunkt war mir noch nicht bewusst, dass ich mich mutterseelenalleine in ein Löwengehege begeben hatte. Ich war wie ein rohes Stück Fleisch, nach dem alle Mäuler gierten.
Drei Wochen nach meinem Umzug nach Berlin klingelte mitten in der Nacht mein Handy.
»Hallo.« Eine unbekannte männliche Stimme war am anderen Ende der Leitung. Schon wieder so ein Anruf, ärgerte ich mich und überlegte aufzulegen. Die nächtlichen Anrufe gingen mir auf den Sack, Berlin ging mir auf den Sack, alle, die etwas von mir wollten, gingen mir auf den Sack. Ich wollte nur Musik machen, was zum Teufel wollten alle von mir. Da beschließt man, anständig zu werden und sein Leben zu verändern, und wird mit einem Arschtritt dafür belohnt.
»Ich heiße Rashid und wollte nur sagen, du solltest lieber aufpassen. Eine Menge Leute sind dir auf den Fersen.«
»Ach, guten Morgen«, antwortete ich sarkastisch.
»Ich will dir nur helfen. Du brauchst Leute, die dich beschützen.«
»Und das willst du übernehmen?«
»Wir sind eine große Familie, wenn du unter unserem Schutz bist, kann dir in Berlin keiner mehr etwas tun.«
»Das tust du natürlich nur aus Nächstenliebe, ja?«
»Mach dir darüber keine Sorgen, du hast ja genug. Deine Sicherheit ist am wichtigsten.«
»Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen und brauche keinen Schutz.« Ich wollte gerade auflegen.
»Du nicht, aber vielleicht deine Familie. Dein Vater ist nicht mehr der Jüngste, und wer soll auf deine Schwester aufpassen, wenn du nicht mehr da bist?« Mein Puls raste. Wie gerne hätte ich in den Hörer gegriffen und diesen Rashid an seinen Haaren herausgezogen.
»Was meinst du damit? Drohst du etwa meiner Familie?« Ich versuchte ruhig zu bleiben, mich nicht provozieren zu lassen, doch die Anspannung in meiner Stimme war kaum zu überhören.
»Du bewegst dich hier auf fremdem Territorium. Wenn du nicht mindestens eine Familie hinter dir hast, hast du zehn gegen dich.«
»Ich brauche keine Hilfe von gierigen Geiern, das kannst du auch deinen anderen gierigen Brüdern ausrichten. Ich kann auf mich und meine Familie sehr gut selbst aufpassen«, sagte ich und dachte ich auch, doch es sollte natürlich anders kommen.
Vier Tage später klingelte es an unserer Haustür. Meine Eltern besichtigten gerade mit Amani das Brandenburger Tor. Innerhalb eines Monats hatten sie es immer noch nicht geschafft, jede Ecke Berlins zu erkunden. Nach einem langen Tag kamen sie nach Hause, und Baba beklagte sich nur über die immense Größe der Stadt. Ich selbst hatte bisher weder Berlin noch das Berliner Nachtleben kennengelernt. Die meiste Zeit verbrachte ich mit dem Schreiben und Aufnehmen von Songs. Menschen, die viel vorhaben, können ihre Zeit nicht mit Trödeleien, Stadterkundungen oder Frauen verbringen. Ich öffnete die Tür, und ein groß gewachsener, dunkelhaariger Mann in einem schwarzen Sweatshirt stand vor der Tür. Das konnte doch nicht wahr sein.
»Du bist bestimmt Massiv.« So weit war es schon gekommen, dachte ich mir, jetzt versammeln sich die Geier schon vor meiner Haustür.
»Genau so habe ich dich mir vorgestellt.« Der Mann war vielleicht Anfang dreißig, hatte vertrauenswürdige braune Augen und einen gestutzten Bart.
»Aha«, murmelte ich in einem genervten Ton. Der Mann ließ sich davon nicht irritieren.
»Ich heiße Kubilay, ich habe dein Ghettolied gehört und musste dich kennenlernen.«
»Was meinst du, wie viele das wollen?« Ich verdrehte die Augen. Langsam, aber sicher war ich es leid, dass Menschen mich kennenlernen wollten.
»Du hast eine Stimme, die unter die Haut geht. Ich weiß nicht, wie du das machst, aber du sprichst der Unterschicht aus der Seele.« Ich wurde hellhörig. Das erste Mal seit meiner Ankunft war jemand zu mir gekommen, um mir ein Kompliment zu machen. Ein echtes Kompliment. Komplimente haben die schädliche Eigenschaft, Menschen in ihrer eigenen Eitelkeit einzulullen und sie blind für die Ziele ihrer Feinde zu machen. Dank unserer narzisstischen Veranlagung neigen wir dazu, Vertrauen zu schöpfen, wenn wir Schmeicheleien hören, denn was gibt uns mehr Sicherheit als
Weitere Kostenlose Bücher