Massiv: Solange mein Herz schlägt
Errungenschaften der letzten Nacht. Dabei hatte er den verstohlenen Blick eines Jungen, der sich jeden Abend alleine im Bad einen runterholt – ich bezweifelte, irgendein Mädchen würde sich von dem freiwillig nackt fotografieren lassen.
»Hey, woher habt ihr das Lied?«
»Das ist das Ghettolied, kennt doch jeder«, spottete ein blonder Junge, der mit einem Zahnstocher im Mund herumspielte. Er ließ mein Ghettolied von vorne anlaufen, alle wippten mit ihren Köpfen zum Beat.
»Wie, das kennt jeder?« Ich konnte es nicht glauben. Diese ganze Situation kam mir surreal vor.
»Jeder in Berlin kennt das Ghettolied, was verstehst du daran nicht?« Sein Ton war gereizt, und er spuckte im hohen Bogen seinen Zahnstocher aus.
»Woher hast du das?«
»Ein Kollege hat es mir bei MSN geschickt. Warum willst du das alles überhaupt wissen?«
»Weil es mein Ghettolied ist.« Auf einmal war die gesamte Aufmerksamkeit auf mich gerichtet. Ein kahl rasierter Junge hob die Augenbrauen an und sagte: »Ja klar, du bist Massiv.« Ein merkwürdiges Gefühl. Jemand wollte nicht glauben, dass ich Massiv war. War Massiv etwa schon ein Jemand? Konnte es unglaubwürdig sein, Massiv zu sein? Unmöglich.
»Ich bin Massiv, das ist mein Ghettolied. Die Frage ist aber, wie mein Song in eure Hände kommt.« Ich überlegte kurz, es gab nur drei Personen, die meinen Song hatten: Woroc, MC Basstard, Ali.
»Wenn du Massiv bist, sag, wer ist dieser Machmud, der im Song vorkommt?« Alle schauten mich gebannt an.
»Das ist einer meiner besten Freunde aus Pirmasens. Er sitzt im Gefängnis.« Die Jungs machten große Augen und stießen sich gegenseitig mit den Ellenbogen an.
»Du bist Massiv, ich schwöre, genau so habe ich dich mir vorgestellt!«, rief der Glatzkopf euphorisch.
Als Nächstes baten sie mich um ein Autogramm, ich signierte, irgendwie, weil ich bis dahin nicht auf die Idee gekommen war, meine Unterschrift zu üben. Dann wollten sie ein Foto mit mir machen, ich willigte natürlich ein, dachte, ich falle aus allen Wolken, bis dahin hatte mich höchstens die Polizei um ein Profilfoto für ihre Akten gebeten.
»Hast du gerade mit denen ein Foto gemacht?«, fragte Baba und roch aus dem Mund wie ein Schale Sonnenblumenkerne.
»Ja.«
»Warum wolltest du ein Foto mit dieser furchtbaren Bande machen?«
» Sie wollten ein Foto mit mir machen.«
»Warum?«
»Weil ich Massiv bin.«
»Was bist du?«
»Ich bin Massiv.«
»Na und, ein Holzlöffel ist auch massiv, damit will sich keiner fotografieren lassen.«
»Nein, Baba. Ich bin Massiv, ach, vergiss es.«
»Hast du etwa über Kokain geredet.«
»Gerappt, Baba, über Kokain gerappt.«
»Rappen, reden, schreien, fluchen – hört sich für mich alles gleich an.«
»Können wir später darüber sprechen? Wir müssen zurückfahren, ich muss etwas erledigen.« Meine Stimme hatte einen aggressiven Unterton, doch Baba ließ sich davon nicht aus der Fassung bringen.
»Ich habe es doch gesagt: Musik für Drogendealer.« Wir stiegen aus der Bahn, ich nahm den Bus, und Baba machte sich allein auf den Heimweg. Ich musste unbedingt zu MC Basstard ins Studio fahren. Viertel vor vier, vielleicht hatte ich Glück, und er war ausnahmsweise wach. Es vergingen keine fünf Minuten im Bus, da hörte ich jemanden die Melodie des Ghettolieds summen. Nein, das konnte doch nicht wahr sein. Litt ich an Wahnvorstellungen? Ich blickte mich um – tatsächlich, ein Junge mit Kopfhörern schaute verträumt aus dem Fenster und summte leise das Ghettolied vor sich hin. Ich stand auf, riss ihm die Kopfhörer aus den Ohren.
»Hey!«, rief er erschrocken.
»Einen Moment …« Ich lauschte – unglaublich, auch er hörte mein Ghettolied. Er riss mir die Kopfhörer aus der Hand.
»Spinnst du?«
»Sorry …« Ich setzte mich wieder hin und knetete meine Finger, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Als ich an meinem Ziel angelangt war, klingelte und keiner aufmachte, verlor ich die Geduld und trat gegen die Eingangstür. Daraufhin kam MC Basstard endlich angeschlichen und öffnete.
»Ach, mit dir habe ich gar nicht gerechnet«, sagte er. Seine Augen waren rot, ich wusste, er hatte gerade einen durchgezogen.
»Ich muss mit dir reden.«
»Das habe ich mir schon gedacht. Komm rein.« Ich folgte ihm mit wütenden Schritten.
»Wieso ist mein Ghettolied draußen?«, stieß ich hervor, krampfhaft bemüht, nicht die Kontrolle zu verlieren.
»Ja, ähm, ich wollte dich deshalb schon anrufen.«
»Warum hast du
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