Massiv: Solange mein Herz schlägt
es nicht getan?«
»Ich wollte dich nicht bei deiner Arbeit stören«, gab MC Basstard kleinlaut von sich.
»Wieso können Jugendliche meinen unveröffentlichten Song hören?«
»Ich weiß es nicht. Es muss irgendwie durchgesickert sein.«
»Irgendwie durchgesickert? Alles war umsonst!« Meine Stimme zitterte vor Wut. Nie funktionierte irgendetwas, wie ich es mir vorstellte, nie konnte irgendetwas reibungslos ablaufen.
»Jetzt brüll nicht rum wie Godzilla – das Ghettolied hat die ganze Stadt erobert, freu dich doch.«
»Mich freuen? Was kann ich mir davon kaufen? Der Song ist verheizt.« Alles war umsonst. Ich hatte meine Eltern umsonst gedrängt, alles aufzugeben, war umsonst nach Berlin gekommen. Alles war zu Ende, bevor es überhaupt angefangen hatte.
»Nein, nein, jeder kennt das Ghettolied, doch keiner kennt Massiv. Alle warten auf Massiv, sie warten auf ein Video, und wir werden es ihnen geben – ich sage dir, es wird durch die Decke gehen!«
Ich hatte ein Problem. Das Ghettolied war plötzlich der bekannteste Song Berlins. Auf dem Schulhof, in der S-Bahn, überall, wo man hinhörte, lief das Ghettolied. Es wurde von einem auf den anderen Tag berühmt. Jeder kannte den Song. Ich hatte keinen Euro daran verdient, und doch war ich der meistgesuchte Kopf Berlins – in jedem Sinn. Ich musste schnell feststellen, dass Baba gar nicht unrecht hatte, als er von Drogendealer-Musik sprach. Das Musikbusiness oder zumindest das Rap-Business war nicht minder kriminell oder gefährlich als das Drogenmilieu. Das sollte ich noch an eigenem Leibe zu spüren bekommen.
Am nächsten Morgen fuhr ich zu MC Basstard ins Studio im Berliner Brennpunkt Neukölln, um die restlichen Songs für mein erstes Album aufzunehmen. In einem Kiosk kaufte ich mir eine Packung Kaugummis. Als ich wieder rauskam, hatte sich vor dem Eingang eine Mauer aus drei Kanaken aufgetan, die dort wie Türsteher vor dem Eingang einer Diskothek standen.
»Bist du Massiv?«, fragte ein dunkelhaariger Lockenkopf, dem die Brusthaare aus dem engen weißen T-Shirt wie ein wilder Unkrautwuchs herausragten. Er stand in der Mitte und war anscheinend der Anführer, Anführer standen immer in der Mitte und sprachen meistens als Erste.
»Ja, und seid ihr die drei Musketiere?« Ich wollte gerade weitergehen, als mich der Lockenkopf an der Schulter packte.
»Warte.« Meine Augen blitzten auf, mit einer klaren Bewegung schüttelte ich seine Hand ab.
»Fass mich bloß nicht an«, giftete ich.
»Ich bin Hassan und möchte dich gerne kennenlernen.«
»Du möchtest mich gerne kennenlernen? Ich stehe nicht auf Männer«, spottete ich. Der Ärger war vorprogrammiert. Ich wusste, wie Männer sich aufführen, wenn sie Ärger suchen. Ihre Mimik und Gestik hat immer etwas Arrogantes. Sie stellen sich breitbeinig hin, plustern sich auf wie die Gockel im Stall und verschränken ihre Arme vor der Brust oder stemmen sie in die Hüften. Es ist ähnlich wie im Tierreich: Löwen fletschen die Zähne, Gorillas schlagen sich auf die Brust, und Gockel plustern sich eben auf, um groß und gefährlich zu wirken.
»Einen guten Song hast du gemacht«, meinte Hassan, ohne es so zu meinen. Der Linksstehende des Trios fuhr sich bei den Worten seines Anführers mit der Zunge über die Lippen, als würde er sich an einem Porno aufgeilen. Er trug eine braune Lederjacke mit Schulterpolstern, die ihm den Look eines geschmacklosen altbackenen Gangsters gab, und pulte an der Nagelhaut herum, bis sich die Ränder mit Blut füllten.
»Du machst einen Song über’n Wedding, dabei wohnst du seit, hm, wie lange im Wedding? Einen Monat, eine Woche?« Hassan lachte. Der Rechte, der die ganze Zeit an einer Zigarette gezogen hatte, stieß hastig ein falsches Lachen heraus, der Rauch kam ihm aus der Nase, und er fing an zu husten. Hassan hatte eine Art Witz gemacht, und seine Hühner sahen sich gezwungen zu gackern, auch wenn sie ihn nicht lustig fanden.
»Was geht dich das an?«, zischte ich zurück, und Hassans Mine verfinsterte sich.
»Was mich das angeht? Der Wedding ist mein Bezirk.«
»Ach, bist du der Bürgermeister und sind das deine Buchhalter?«, sagte ich schnippisch, während der Linke sich die Finger in den Mund steckte und genüsslich an seiner Nagelhaut kaute, und der Rechte, dessen eine Gesichtshälfte ein münzgroßes Muttermal aufwies, ein kurzes Lachen von sich gab. Hassan stieß ihn an und befahl ihm: »Halts Maul!« Seine Zigarette fiel auf den Boden, er bückte sich, hob
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