Massiv: Solange mein Herz schlägt
die Bestätigung durch andere? Scheinheilige Komplimente dienen nur als Mittel zum Zweck – doch dieses Kompliment war nicht scheinheilig. Die Augen des Mannes hatten vor Begeisterung aufgeleuchtet, das machte mir Mut, vielleicht gab es da draußen noch Menschen, die tatsächlich an meiner Musik und nicht an dem, was sie mir einbrachte, interessiert waren.
»Danke.«
»Ich habe dich in der ganzen Stadt gesucht, um dir das zu sagen.« Er verabschiedete sich und wollte gerade gehen, doch ich bat ihn herein. Die unhöfliche Art und Weise, wie ich ihn begrüßt hatte, tat mir leid.
»Ich will mich nicht aufdrängen.«
»Nein, komm doch bitte rein.« Wir setzten uns in die Küche und unterhielten uns eine Weile. Kubilay erzählte mir, wie er vor zwei Wochen durch Neukölln gegangen und meinen Song gehört hatte, der lautstark aus einem Auto hallte. Der Beat fesselte ihn sofort, er blieb abrupt stehen und fragte nach Titel und Interpreten. Kubilay war schon über dreißig, er hörte eigentlich keine Rap-Musik. Rap-Musik sei für Jugendliche und nicht für erwachsene Männer, sagte er, doch meine Stimme und dass was sie widerspiegelte, zogen ihn in den Bann wie das Pendel eines Hypnotiseurs. Ich fühlte mich geschmeichelt und bedankte mich herzlich. Dann erzählte ich von den vielen Leuten, die mich kennenlernen wollten, Kubilay nickte. »In der Musikbranche steckt viel Geld. Du bist nicht aus Berlin, hast hier keine Brigade, die hinter dir steht und im Fall der Fälle bereit wäre, für dich in den Krieg zu ziehen. Das wissen die Leute und versuchen Druck aufzubauen.«
»Krieg?«
»Hier herrscht Krieg, und ein Soldat würde niemals alleine in den Krieg ziehen. Genauso ist es in Berlin, die Kanaken fühlen sich hier nur in Gruppen stark, sie wissen, du bist alleine und deshalb schwach – auch der stärkste Mann kann es nicht mit einer ganzen Armee aufnehmen.«
»Was, meinst du, sollte ich tun?«
»Weitermachen! Du musst weitermachen und dir eine Brigade aufbauen, deinen ersten Mann hast du schon hinter dir.« Ich nickte. Kubilay war sehr von mir und meinem Talent überzeugt; ich, und nur ich, hätte das Potenzial, das Sprachrohr für alle Migranten in Deutschland zu werden.
»Du musst das Eisen schmieden, solange es noch heiß ist. Heute redet noch jeder über dich, morgen kann es schon wieder vorbei sein.« Kubilay sagte die Wahrheit.
Ich hatte eine genaue Vision: Ich wollte ein Video drehen, das mich ganz nach oben katapultieren sollte, ein Video für die Unterschicht Deutschlands, und das Weddinger Ghetto als repräsentative Kulisse nutzen. Alle Bilder und Menschen, die mich zu dem Song inspiriert hatten, sollten darin vorkommen. Es sollte nicht nur ein Video werden, sondern die Menschen wie ein Spielfilm in seinen Bann ziehen. Ich wollte provozieren und gleichzeitig aufwecken. Underground-Musik in High-class-Qualität – das wollte ich. Mein Vorhaben forderte eine Crew von fünfzehn Leuten, die sechs Tage in Filmqualität mit mir drehen und mich insgesamt 27000 Euro kosten würden.
Ich schluckte, denn ich hatte keine 27000 Euro mehr, trotzdem war ich nicht bereit, Abstriche zu machen. Nur das Beste war gut genug, um es nach ganz oben zu schaffen. Ich hockte einen ganzen Tag lang in meinem Zimmer und stellte eine Kalkulation auf. Ich hatte noch 23000 Euro erspartes Geld, mit dem Verkauf meiner Markenklamotten, Turnschuhe und zwei Uhren würden mir trotzdem noch 2000 Euro fehlen. Mein Vater klopfte an der Tür, ich bat ihn rein, und er fragte, wie weit ich mit meiner Musik war. Immerhin lebten wir seit einem Monat in Berlin, keiner aus der Familie hatte ein geregeltes Einkommen, und Baba war nicht bereit, Geld vom Staat anzunehmen. Ich erzählte ihm von meinem Vorhaben, und er hörte zu.
»Willst du wirklich dein letztes Haram -Geld in dieses Video stecken?«
»Baba, nenn es nicht immer Haram -Geld.
»Was ist es denn sonst? Geld, das mit Sünden verdient wurde, ist sündiges Geld.«
»Mir bleibt nichts anderes übrig, als mein Haram -Geld da reinzustecken, anderes Geld habe ich nicht, und eigentlich habe ich nicht einmal genug Haram -Geld, Baba.«
»Schwer, wenn man für die ganze Familie Verantwortung übernehmen muss.« Baba lächelte und freute sich anscheinend, dass ich mich endlich in seine Lage versetzen konnte. Seit unserer Ankunft in Berlin war er wie ausgewechselt. Ich denke, es tat ihm gut, die Verantwortung abzugeben, und einfach mal nichts zu tun. Es war sein erster Urlaub seit
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