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Massiv: Solange mein Herz schlägt

Massiv: Solange mein Herz schlägt

Titel: Massiv: Solange mein Herz schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massiv mit Mariam Noori
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dieselben Schuhe trug und alleine nach Deutschland gekommen war, ohne Mutter, ohne Vater, weil er sich ein menschenwürdiges Leben gewünscht hatte.
    Anschließend bekam ich ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn zu Tode hassen wollte – und plötzlich war er nicht mehr der aufbrausende Baba, sondern ein schwacher, vom Leben gezeichneter Mann. Dann dankte ich Gott dafür, einen Baba zu haben, egal was für einer er war. Ich bedankte mich für unseren Schuhkarton, für Käse und Fladenbrot, für die Sperrmülltage und die vielen Hollywoodfilme. Und ich dankte Gott für Mama, weil ich ohne ihre Liebe nicht überlebt hätte. Mama und Baba waren wie zwei Pole, die sich gegenseitig abstießen. Sie kannten sich nicht vor der Hochzeit; damals heiratete man aus Gründen, die nichts mit Liebe zu tun hatten. Das konnten finanzielle Gründe sein, oder um Nachkommen zu zeugen. Oder wenn die Eltern dachten, es sei an der Zeit zu heiraten. Mama war vierzehn Jahre alt, als ihre Eltern der Meinung waren, es sei an der Zeit zu heiraten. Baba versicherte meinem Opa, Mama in den Westen zu bringen. Mein Opa willigte ein, denn ihm war jedes Mittel recht, seine Kinder aus der Gefahrenzone rauszukriegen. Eine Woche nach der standesamtlichen Hochzeit machte sich Baba auf nach Europa, ein Jahr später holte er meine Mutter nach. Die nüchterne Feststellung, ohne ihre Familie in der Fremde, wo sie die Sprache nicht verstand, in einem kleinen Zimmer hausen zu müssen, ließ Mama eingehen wie schlecht zubereiteten Kuchenteig. Doch Mama klagte nie. Nicht über ihre Kindheit, nicht über ihr Leben, nicht über die Armut oder das ungerechte Schicksal. Sie war anders als alle Menschen, die ich kannte. »Mit Klagen wurde noch kein Berg bestiegen«, meinte sie immer. Stattdessen setzte sie ihr Leid produktiv um, indem sie zum Beispiel auf Brotteig einschlug und aus Teig und Trauer trauriges Brot machte. An solchen Tagen rutschte ihr das Kopftuch leicht herunter und man sah das schweißnasse Haar an den Wangen kleben. Die Krähenfüße um ihre nussbraunen Augen, die ihre Kinder immer nur mit bedingungsloser Liebe ansahen, deuteten auf ein bewegtes Leben hin, waren aber andererseits Zeichen eines soliden Humors. Nie ließ sie sich Trauer und Angst anmerken, und ihren Missmut verbarg sie unter einem dekorativen, manchmal übertriebenen Anstrich aufgesetzter Freude.
    Schlug Baba sie, lachte sie, schluckte Tränen herunter und gaukelte vor, ein Spiel mit Baba zu spielen. Es sei alles nur Spaß, krächzte sie in einem grellen Ton, der mir eher Angst einflößte, als mich zu beruhigen. Baba schlug und schlug, Mama lachte und lachte, es sei nur ein Spiel, rief sie, und Baba schlug weiter, weil er dachte, Mama würde sich über ihn lustig machen. In dieser Rolle blieb Mama unnachgiebig, auch wenn die Schläge dann länger andauerten und sie am nächsten Morgen vor lauter Schmerzen nicht einmal eine Küchenrolle heben konnte. Ich war ein Kind, kein Hmar , und wusste, das war kein Spiel. Die Ehe meiner Eltern war wie der Palästinakrieg, der kein Ende nahm, und die größten Leidtragenden waren Amani und ich. Wenn die Schlacht tobte, verkroch ich mich unter der Bettdecke, während Amani sich vor Mama warf und dafür selbst Schläge kassierte. Bei jedem Geräusch setzte mein Herzschlag aus, doch ich war zu feige hinzusehen. An solchen Tagen stellte ich mir vor, wir säßen an einem fein gedeckten Esstisch, silbernes Besteck in unseren Händen, und Mama würde eine glänzende fette Gans servieren. Das köstliche Fleisch wäre so zart, dass es in meinem Mund nur so dahinschmelzen würde. Baba brächte uns mit lustigen Geschichten zum Lachen, alle wären glücklich. Mit dieser Fantasie einer normalen Familie schlief ich ein – und wachte mit einem dünnen Streifen Spucke am Mund und einem hungrigen Gefühl in der Magengegend wieder auf. Baba fand immer einen Grund zu streiten. Er gab Mama die Schuld an allem, sogar am Nahostkonflikt. Da reichte schon eine nicht gebügelte Falte in der Hose – denn nichts hasste Baba mehr als Unordnung –, um Mama wieder mal in Grund und Boden zu schreien. Die beiden waren nicht wie die Ehepaare aus den amerikanischen Filmen, die ich so gerne sah. In diesen Streifen umarmten sich Mann und Frau, die Frau band ihrem Mann die Krawatte, der Mann brachte seiner Frau einen Strauß Blumen mit, am Wochenende zogen sie ihre feinen Mäntel und Hüte an und gingen zusammen aus. Mama und Baba umarmten sich nie. Und eine Krawatte hätte

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